Abenteuer Ahoi!
In einer Welt, die dank Google Maps keine unbekannten Orte mehr kennt und in der jeder stets per Handy und FaceTime zu erreichen ist, da ist es nur schwer vorstellbar, wie es einmal war, als ferne Orte noch fern und offline waren. Der erste Roman der Welt von 1719, Robinson Crusoe, spielt an einem dieser Orte. Fernab jeglicher Zivilisation und ganz auf sich gestellt muss der unfreiwillige Einsiedler sich gegen die Insel und Ihre Natur zur Wehr setzen. Es galt sich den unbekannten Herausforderungen der Wildnis in Flora und Fauna zu stellen und die Überlegenheit des menschlichen Verstandes unter Beweis zu stellen. Ein Mann, eine Insel.
Eine kleiner werdende Welt
Nur zwei Jahrhunderte später, um 1900, ist dem überwiegendsten Teil der Weltbevölkerung der „Rest der Welt“ noch immer ein böhmisches Dorf. Irgendwo, ganz weit weg und sehr exotisch. Bestimmt. Umwabert vom Nebel des Unbekannten. Und dennoch hat die Erschließung der Neuen Welt Amerika einiges von diesem Exotismus genommen. Viele Emigranten machten sich auf in ferne Länder: Regionen, die mit Schiff und Zug immer erreichbarer wurden. Das Wagnis der Fremde begann zu schrumpfen, und mit ihm die Welt. Jules Verne, einer der frühen Meister darin, das naheliegende mit dem Zukünftigen zu verbinden, nahm all dies in sich auf und wob aus den Elementen der noch neuen und viel schnelleren Verkehrsmittel und der kleiner werdenden Welt einen letzten großen Teppich Seemannsgarn, der in der Summe etwas von erneut faszinierender Größe war. Er brachte, mit einem Freizeitpark-artigen Ritt, „in 80 Tagen um die Welt“, durch Regionen und Zivilisationen, etwas Schwindendes populär aufgearbeitet und massenkompatibel zurück: das Abenteuer.
Der lange Schatten des Krieges
Wer hätte gedacht, dass es nur wenige Jahre dauern würde, bis sich die Welt in einem ganz eigenen existenziellen Abenteuer wiederfinden würde. Während für einige Jahrzehnte die Waffen der Welt überwiegend zur Jagd genutzt wurden, sorgte eine beknackte Familienfehde unter Adligen dafür, dass die Bevölkerung sich im Ersten Weltkrieg plötzlich gezwungen sah, die Waffen auf Menschen zu richten. Und weil die Welt nur langsam aus Fehlern lernt – wenn überhaupt – musste dieses Elend nur wenige Jahre später, im zweiten Weltkrieg, weiter gehen. Kaum hatte man diesen Albtraum hinter sich, schwangen sich die Vereinigten Staaten auf, in Korea zu intervenieren und schließlich, in einer dämlichen Fortsetzung, im schwülen Dschungel Vietnams ihr Waterloo zu erleben.
Eine traumatisierte Generation von G.I.s hatte danach erst einmal die Schnauze voll von „Abenteuern“ in irgendwelchen Dschungeln. Love and Peace übernahm und der kalte Krieg fror die Reste der Gier nach einem Entfesseln des inneren Kriegers für einige Zeit ein. Der Krieg wurde zu etwas Abstraktem, etwas, das ganz fern ausgetragen wurde, vielleicht „in einer weit, weit entfernten Galaxie“ von Lucasfilm. Wer da den Ruf des Abenteuers hören wollte, musste schon ganz genau hinhören.
Die Camel Trophy bringt das Abenteuer zurück
Einer wahren Legende zufolge trägt der Weihnachtsmann einen roten Mantel, weil Coca-Cola den Geschenke-Bischof für seine Zwecke eingespannt hat. Seit dem Make-over der Sagengestalt durch Grafiker Haddon Sundblom im Jahr 1931 und der folgenden Werbekampagne, ist Santa überhaupt nicht mehr anders zu denken, als im roten Gewand.
Ähnliches passierte 1980 mit dem Abenteuer. Der Werbeschlaumeier Thomas Wulfes der deutschen (!) Werbeagentur Team/BBDO in Düsseldorf sah sich mit dem Problem konfrontiert, der Zigarette der Marke Camel ein neues Image zu verpassen – eines, dass dem Marlboro-Mann der Konkurrenz von Philip Morris ähnlich, aber auch irgendwie anders war. Die Zielgruppe für Zigaretten war und ist der Großstadtmensch: damals männlich und wischi-waschi. Das Werbevorbild musst also pur, kernig, roh, irgendwie zeitlos stereotyp männlich und dem Grundlegenden, dem Existenziellen verschrieben sein. Was da im Kopf aufleuchtet, jenseits von Cowboys und wildem Westen, ist gern kämpferisch und damit negativ. Es galt also, die Abenteuer-Essenz (die DNA des Kampfes quasi) zu extrahieren, ohne auch nur in Ansätzen an Krieg oder die Napalm-Katastrophe von Vietnam zu erinnern. Von Vorteil war da wohl, dass für die Deutschen Vietnam eh immer weiter weg gewesen war. Und auch der Krieg war wohl wieder lang genug vorbei, um mal wieder so richtig Bock auf Schlammschlachten zu haben. Oder – wenn man es weniger negativ formulieren möchte – steckt doch im Abenteuer immer eine eigene Faszination und im Existenziellen ein eigener Zauber, mit dem Versprechen von Mut und Tugend.
Die passende Idee war eine Rallye, vermutlich inspiriert durch die gerade ein Jahr zuvor gestartete Rallye Paris-Dakar. Das Format eines Rallye-Raid-Wettbewerbs böte alle Zutaten, die man braucht: Abenteuer, Kontrolle, Exotik und Modernität – Lezteres zum Ausdruck gebracht durch die Vehikel.
Gesagt getan also: der Marketing-Stunt nach noch heute modernem Zuschnitt konnte beginnen. Sechs Kandidaten wurden ausgewählt, zu Zweierteams zusammengespannt und auf ging‘s nach Südamerika. Am Flughafen noch schnell ein paar Jeep CJ6 gemietet und los: für 1600 Meilen auf den Transamazonica Highway, quer durch Brasilien, den „Highway of Tears“. Dass der Autovermieter seine Autos nie wieder sehen würde, hatte man ihm bei der Leihe einfach verschwiegen.
Der resultierende Trip war abenteuerlich, aber auch irgendwie nicht. Denn die Route war von dem damals noch 27 Jahre jungen Expeditionsexperten Andreas Bender geplant worden, beinhaltete Begleitfahrzeuge, Mechaniker, Doktoren und erfahrene Guides – neben den eigentlichen Camel Trophy Kandidaten. Vor allem aber gab es Koffer voller Filmmaterial, Fotografen und Filmleute, die das Event angemessen und ansprechend in Szene setzen sollten. Ganz schön viel Game-Show, bei alledem. Denn als McGuffin ging es zwar um ein ausgelobtes Preisgeld, die „Trophy“, aber vor allem ging es darum, Bilder zu produzieren, die wiederum einen Mythos produzieren und die wiederum Zigaretten verkaufen sollten. Und das klappte. Aber sowas von!
Die Camel Tropy geht um die Welt
Die Marketing-Aktion klappte so gut, wie man es sich in Düsseldorf vermutlich nie erträumt hatte. Im nächsten Jahr wuchs die Zahl der Teams auf fünf und man hatte wohl bemerkt, das die old-skool Sichtweise, nur Männer könnten Zigaretten-Kunden sein, nicht mehr haltbar war. Auch ein Frauenteam nahm an der zweiten Trophy teil – warum das bis heute fast niemand weiß, muss wohl an anderer Stelle geklärt werden. 1981 war das, und die Camel Trophy ging diesmal nach Sumatra – und mit ihr eine neu eingeführte popkulturelle Ikone schlechthin: der Land Rover „Expeditionsjeep“.
Was Zoodirektor Dr. Grzimek mit seinem „Landy“ in der Serengeti nicht schaffte, schaffte die Camel Trophy. Ein blass-gelber Allradler (Farbe: „Sandglow“) , mit Zusatzscheinwerfern, Sandblechen und Seilwinde wird zum Inbegriff des Abenteuers. Ob das Urmodell Land Rover, der luxuriösere Range Rover oder martialische Defender: angefertigt von der Land Rover „Special Vehicles division“ sind die Autos gewichtiger Teil der Trophy. Denn letztlich geht es darum, ein Erlebnis zu schaffen, wo ansonsten eher keines ist. Während in Werner Herzogs Film Fitzcarraldo (1982) der Protagnist, um ein Opernhaus im Dschungel zu bauen, beknackter Weise ein Schiff über einen Berg ziehen muss, müssen die Trophy Teams den Dschungel zwar nicht zu Fuß aber mit dem Auto durchqueren. Probleme vorprogrammiert.
Unzählige Schlamm Eskapaden, Mosquito-Attacken und Hitzschläge später ist auch diese Trophy geschafft und das Marketing-Gold eingefahren. Schon im letzten Jahr konnte man sich vor Bewerbern um das Abenteuer kaum retten. In diesem dritten Jahr nun war der Durchbruch des Events endgültig geschafft und es konnten internationale Teams aus tausenden Bewerbern aufgestellt werden. Das Ding mit der Adventure Trophy wurde einfach immer größer und größer.
Der Nachhall der Events, der Einfluß der Camel Trophy auf die Popkultur, ist dabei kaum zu überschätzen. Artefakte dieser frühen 80er Jahre Survival-Reihe finden sich in zahllosen Filmen, Serien und Videospielen, von Sonys „Unchartered“ Reihe über Lara Croft bis zu den Aktionen von Morlock Motors in der DMAX Serie „Steel Buddies“. Die Geländewagen in Steven Spielbergs „Jurassic Park“ bedienen sich offensichtlich der Formensprache der Trophy Expeditionsfahrzeuge. Unzählige Bücher wie „Die letzten Abenteuer dieser Erde“ (1981) bebildern das Archaische auf dem Trittbrett des trophy-Erfolges. Auch fragt man sich, woher im Kino der 1980er Jahre auf einmal diese Begeisterung für Abenteuerfilme herrührt. Da begibt sich George Lucas mit seinen Indianer Jones Filmen nach dem Weltraum in den Dschungel und an die exotischen, weit entfernten Gebiete dieser Erde. Davon befruchtet sucht dann Michael Douglas nach dem grünen Diamanten oder die Goonies in der Nachbarschaft nach dem Besonderen. Der 1982 veröffentlichte Film Rambo könnte beeinflusst worden sein – oder einfach den Zeitgeist erspürt haben, wie die Trophy Erfinder in Düsseldorf.
Das Original aber, die Camel Trophy, wurde am Ende 21 Jahre hintereinander veranstaltet und noch heute wird in Ihrem Kielwasser Adventure-Gear verkauft, vom Trekking-Schuh bis zur Klischee Tropenweste. Und auf den Straßen der Welt – gefühlt aber überwiegend in Deutschland – wühlen sich immer wieder grimmig aufgetunte Land Rover SUVs durch das Straßenbild, mit Schaufeln auf dem Dach, Schnorchel und Kisten. Der Marlboro-Mann von heute fährt einen EURO Norm 6 abgasgereinigten, mit Hybrid-Elektrischem Antrieb zusatzausgestatteten, teppichgereinigten, vollkaskoversicherten kriegseinsatztauglichen Straßenpanzer. LOL
Willkommen in der verweichlichten Generation
Schon lange kein Krieg mehr gewesen, was? Das dachte man sich wohl in den späten 1990er Jahren, als man sich als aufgeräumter Großstadt-Rambo in einer lauwarmen wohlfühl-Welt wiederfand. Kalter Krieg: Gewonnen. Eiserner Vorhang: Gefallen. Borneo: Bereist. An welcher Front gäbe es da noch „echte Abenteuer“ zu erleben? Wo könnte die Mannhaftigkeit unter Beweis gestellt werden? Chuck Palahniuks Roman „Fight Club“ brachte diese Gefühlslage auf den Punkt und nahm den Non-Sense, in dem das etwa 20 Jahre später enden würde, hellseherisch vorweg. Im Fernsehen war der große Abenteuer-Wettbewerb zu einer weichgespülten Samstagabend Game-Show zusammengeschnurrt. Man maß sich in „Wetten Dass..?“ in Schulfestspielen und Ringelpiez. Da war es nur allzu absehbar, dass das Pendel bald wieder in die andere Richtung ausschlagen würde, und man sich „echten“ Gefahren und Schmerzen stellen wollte – um seine Mannhaftigkeit unter Beweis zu stellen.
So oder so ähnlich passiert: Das Promi-Boxen war geboren. Zunächst im englischsprachigen Ausland als effektives Vehikel ausprobiert, um in gleichem Maße Aufmerksamkeit auf die Person und das Event zu lenken, schlug sich Stefan Raab in einer Veralberung der Idee mit Regina Hallmich. Raab musste das ja zuletzt in 2024 wiederholen, quasi als senioriger Influencer, der es den echten Influencern und Streamern (die das erst vor kurzem gemacht hatten) mal „so richtig“ zu zeigen. So wie „Schlag den Raab“ ein Remix von „Wetten Dass..?“ gewesen war, wurde hier quasi die Streaming/Content-generation-Orgie auf die Spitze getrieben.
Content vs. Wild
So geht es zu, in den Medien. Seltsam nur, dass es in der „Wilderness“ der Wirklichkeit auch zu brodeln beginnt. Während Irak-Krieg und der nahe Osten immer weit weg gewesen waren, scheint man sich in der Politik um die 2020er Jahre vorgenommen zu haben, die Fiktion mal IRL nachzuspielen.
2022 schließlich verhindert man nicht, dass aus dem seit 2014 in der Ukraine schwelenden Konflikt ein heißer Krieg wird. Und zwei Jahre später eskaliert die Lage im Nahen Osten auch noch einmal. Die Medien zelebrieren das Spektakel, als sei es ein Videospiel und feuern aus allen Rohren ihre eigene Propaganda, vermengt mit Cancel Culture und Wokeness Salven. Man hatte gut gelernt, „in Corona“. Der Krieg als Event, als Content-Produzent.
Und was machen die Influencer? Nix! Denn die Welt dreht sich seltsam unbeeindruckt weiter. Während in den 1990er Jahren der militärische Drohnenpilot noch sinnbildlich als Warnfigur für eine „Videospielisierung“ des Krieges galt, scheint heute der Krieg und das Sterben ein fernes „Game“ zu sein, an dem man teilnehmen kann, wenn man denn Bock drauf hat. Schon abartig, dass es tatsächlich erlaubt ist, nach deutschem Recht, in ein anderes Land zu reisen, um dort zu kämpfen und zu töten, und danach – wie aus dem Urlaub – nach „Dschörmany“ in den 9-5 Job bei der Versicherung zurückzukehren.
Auch verrückt ist, dass in eben diesen Zeiten Formate, die das Abenteuer suchen und vermeintlich finden, Hochkonjunktur haben. War früher das Ausrichten einer „Camel Trophy“ noch ein Ding, dass ein Konzern finanzieren musste, folgten darauf die TV-Stationen, die mit kleineren Budgets ein bisschen Abenteuer in die Wohnstuben brachten. Heute nun sind wir angekommen in der zersplitterten Medienlandschaft der Ein-Mann Produzenten, der „You“-Produzenter auf YouTube. Streamer, die mit kleinstem Aufwand die Muster der Vorgänger zum x-ten mal nachturnen. In den 1990ern schleppte RTL2 für die Serie „Expedition Robinson“ einen Haufen Kandidaten auf eine Insel. 2021 musste, der vermutlich seit der Bundeswehr auf dem Survival-Trip kleben gebliebene, Fritz Meinecke dieses (oder tausend ähnliche Formate und Shows) „im Netz“ low-budget nachmachen und nannte es „7 vs. Wild“. Für eine Generation, die zwanzig Jahre nach der ersten Camel Trophy geboren wurde und Robinson Crusoe für einen Tom Hanks Film hält, ist das echt neu. Aber egal: denn das Rezept zieht wie eh und je! Und schon beim Namen, der eigentlich „7 vs. Wilderness“ lauten müsste, zeigt sich der Marketing-Instinkt. Das halbgare „Duell um die Welt“ (Joko und Klaas lassen grüßen) im YouTube Kleinformat ist eröffnet. Allerdings nur, um in der vierten Staffel bei einem existentiellen „Szenario“, einem „Flugzeugabsturz in der Wildnis“, irgendwo zwischen J.J. Abrams „Lost“ (2004), „Alive (1993) und „Big Brother“ abzustürzen.
Schiffbruch Ahoi!
Raab haut also aufs Maul, jetzt auch wieder in der Schlag den Raab-TV Total Remix-RTL-Abo-Vehikel-Streaming-Show „Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab“. Und Knossi („irgendwann wirst du abhängig von diesen Intensiven Erfahrungen“), der auch schon bei „7 vs. Wild“ reingegrätscht war und sich auf Angel-Camps bewiesen hat, der startet jetzt seine eigene Abenteuer-Show. Der wischi-waschi Internet Nerd stellt sich der Natur. Und während die Camel Trophy mit dem Einsatz von Booten statt Jeeps baden ging, wird Knossi ein Schiff besteigen. „7 vörsos the Wild, auf‘m Schiff!“ Ein Haufen Streamer und Influencer werden also auf eine Segelyacht gepfercht und sollen den Atlantik überqueren. „Mission Unknown: Atlantik“ wird Knossis „Weltumsegelung“, wie er es manchmal nennt, heißen – auch wenn die Route eben nur von Deutschland nach New York führen wird. (Ein bisschen Sehnsucht nach Jules Verne steckt eben in jedem dieser Formate). Und abenteuerlich soll es werden! Auch wenn Greta Thunberg den Boat-Trip nach NY erst vor kurzem als Pseudo-Klimarettung-PR-Stunt schon gemacht hat. Und wie bei der Trophy soll die Grenzerfahrung provoziert werden: „keiner von uns kann Segeln!“. Ob Knossi damit meint, dass ein Haufen von Amateuren ernsthaft unterwegs Segeln und Navigieren lernen soll, bleibt erstmal offen. Wie schon bei der Camel Trophy geht es darum, ein Erlebnis zu schaffen, wo ansonsten eher keines ist. Und so wird es bestimmt mehr Game-Show als echtes Wagnis – trotz aller Todes-Warnungen und Orakeleien vorab.