Gamescom und die Influencer

Gamescom in Köln. Einmal im Jahr. Das ist Wahnsinn. Das ist laut. Das ist Karneval, Volksfest und Marketing-Event. Ist das noch ein Gaming-Event, oder mehr Plattform für Influencer und Geschäftemacher? Ein Besuch.
Veröffentlich am 1. September 2023 und aktualisiert am 11. Oktober 2023
Gamer gegen Influencer. Wem gehört die gamescom?
Bild/Montage: InStream

Also gut. Es geht los. Mit dem Zug zum Messebahnhof. Wer mit dem Auto anreist, merkt es auch schnell: Hier kommen viele. Richtig viele! Auf dem Weg in Richtung Eingang muss man nicht lange nach dem Weg suchen – die Masse der Menschen schiebt einfach in die richtige Richtung. Das stimmt schonmal ein. Denn Drängen, Schieben und Warten ist der Normalzustand auf der gamescom! Aber dann gehört auch noch diese spezielle Stimmung dazu – und die ist immer super! Frohe Erwartung, beste Laune, der Nerd im Hochzustand. Gamescom ist ein positives, ein schönes, ein Gemeinschafts-, ein Top-Event! Und nach Corona macht das „in der Menge unterwegs“ sein gleich doppelt Spaß.

Die Ernüchterung kann da allerdings auch nicht weit sein. Wer aus dem motivierenden Spätsommer-Sonnenschein der Messetage in die Kunstlicht-Hallen tritt, erlebt nicht immer bestes Entertainment.

Die Messe-Realität

Die Haupthallen der gamescom boten gewohntes: massige Stände, die sich hoch bis an die Hallendecke auftürmen. Installationen von Netflix, „Stranger Things“ bis Riesen-Fantasy-Zeugs. Dazwischen Bühnen, auf denen Einheizer die crowd zum Brüllen animieren, damit man in der Halle mit Dezibel Aufmerksamkeit generiert. Immer wieder dazwischen kleine Pods, an denen einzelne Neuheiten angespielt werden können. Mit Warten. Der Klappstuhl ist das viel-herumgetragene Accessoire der gamescom!

Dann immer auch ein Hauch von CeBIT: Microsoft hat eine halbe Halle, diverse Modding Firmen und Gaming Zubehör, von der Maus über den höhenverstellbaren LED Schreibtisch bis zum obligatorischen Gaming Stuhl. Als Gamer oder verkleidete Cosplay-Prinzessin dazwischen herumzulaufen, kann dich traurig machen. Diese anonymen Riesenburgen von Großständen, an denen man so gar nicht VIP ist… Als Individuum wird man da nicht wahrgenommen, ist unsichtbar. Dabei ist Gaming doch Community und Individualität! In diesem Gefühlt holt dich die gamescom oft so überhaupt nicht ab. Da muss man wohl drauf vorbereitet sein.

Schlimmer wird‘s dann, wenn man sich in der „Merchandise Area“ umsieht. Da bekommt der Gamer schnell den Eindruck, man wäre auf einer überdachten Provinzkirmes. Buden, grelles Bauscheinwerfer Licht und Tinnef-Stände. Der vielleicht nicht ganz objektive Eindruck ist, dass hier mehr billig-Kram verramscht wird, als dass es Kleinode zu erwerben gäbe, die es nicht auch im Netz oder sonstwo (billiger) gibt. Manchmal fehlt nur noch der Typ, der Blumen vom LKW aus verkauft.

Da die Messeleitung das wohl weiß und das kommerziell-rammschige der „Merchandise Area“ wohl abfedern wollte, hat man das viel zu kleine „Cosplay Village“ da hineingepflanzt. Au weia. Fast gemein ist das. Für die Cosplayer! Denn die Cosplayer sind Menschen, die ihr Hobby mit viel Herzblut betreiben. Sie sind aus dem bunten Publikum der Messebesucher nicht wegzudenken. Tragen die gamescom als Sensation gehörig mit. Sind schon von Anfang an dabei. Und bei den Gamern gern gesehen – obwohl es nicht in allen Fällen große Überschneidungen gibt. Game-Cosplay: gut. Aber nicht-game-Cosplay: auch gut. Es wäre wünschenswert, wenn zukünftige gamescoms dem noch mehr Raum und Wertschätzung gäben.

Ist das noch die gamescom?

Was „zur gamescom gehört“ und was nicht – das ist aber immer so eine Sache. Ein bisschen der Zankapfel der gamescom werden zunehmend die Influencer. Aber dazu kommen wir noch.

In der Retro Area verbunkern sich derweil die Hardcore-Gamer. Okay, manchmal „hardcore“, weil eben Oldtimer. „Gaming“ gibt’s ja seit den 70zigern und der harte Kern ist eben schon länger dabei. Und macht meist was „mit IT“. Ja, ist so und gut so. Und nirgends wird der alternde Nerd mehr toleriert und geschätzt als hier! Der „Retro Area“ Bereich ist zudem quasi der Gegenentwurf zu den großen Ständen der Publisher, Elektronik- und Software Riesen in den anderen Hallen. Eine Art Schulfest oder LAN-Party inmitten der teils etwas kühlen Messe.
Die Besucher wissen und schätzen das. Und die Aussteller dort wissen das. Eben alle Gamer! Einer der Standbetreiber dort sagte uns „Immer wieder sägt die Messeleitung an einzelnen Areas. Obwohl das grotesk ist, steht dabei sogar (!) hin und wieder die ‚Retro Area‘ in der Diskussion! Dabei ist die doch die Wurzel und das Herz der gamescom! Ohne die ‚Retro Area‘ wäre die gamescom doch tot! Ob hirntot oder herzlos – das kann man sich aussuchen“.

Tatsächlich war die „Retro Area“ auf der gamescom 2023 sogar flächenmäßig 20% größer als im vorangegangenen Jahr. Den Fehler macht man also (noch) nicht. Während der Family & Friends Bereich irgendwie aufgelöst erschien und mit „Indoor & Outdoor“ zu einer untrennbaren Transferfläche verwachsen war, konnten Gamer, die an den großen Ständen in anderen Hallen kaum zum Spielen kamen, hier im Retro-Bereich voll auf Ihre Kosten kommen. Konnten sich unterhalten, austauschen, mit Skills angeben und gesehen werden. In Halle 10.2 wurde die gamescom persönlich! Endlich.

Innovatives, Handgemachtes und teils Geniales gab es direkt daneben zu bestaunen. Gleich mehrere große Indie-Gemeinschaftsstände teilten sich traditionell das Obergeschoss von Halle 10 (Halle 10.2) mit der Retro Area. An den Ständen „Indie Arena“, „Home of the Indies“ oder den vielen Länder-Gemeinschaftsständen konnte man in Mini-Parzellen von 1×1 Metern viel Großes entdecken. Traurig ist nur, wie kostspielig diese winzigen Stände für die Indie-Developer sind. Bei Gesprächen am Rande war zu erfahren, dass die Buden im Maßstab einer englischen Telefonzelle mit mehreren Tausend Euro zu Buche schlagen. Heftig! Gerade wenn mit einem Indie-Spiel oft nix zu verdienen ist.

Apropos verdienen. Kommen wir zu den Influencern.

Invasion der Influencer

Nachdem Monte im vergangenen Jahr die gamescom „gecrasht“ hat, hat man versucht, den Influencern gegenüber dieses Jahr das Heft in der Hand zu behalten. Die gamescom macht ja auch nicht irgendwer. Es ist eine sehr amtliche Messe; veranstaltet von der kölnmesse selbst – so wie nur die ganz großen Messen. Da redet Politik mit. Da muss das Ruder in der Hand behalten werden. Schon daher sollte es keinen „goldene Gans“ Effekt mehr geben, bei dem am Ende das gesamte Publikum einem Influencer hinterher läuft. Das war offenbar ein Security-Albtraum, was Marcel mit Marc Gebauer und Adam an der Kamera da in 2022 verursacht haben. Daher: in diesem Jahr durfte niemand, der nur etwas Reichweite hat, auf der gamescom herumlaufen und stehen bleiben! Ja, nicht „stehen bleiben“ war die Vorgabe. Keine Selfies. Ende. Die ganz Großen Influencer durften nicht mal herumlaufen!

Die Celebs von Rang hatten in diesem Jahr eine eigene Halle. Die „Signing Area“, mit Bühne, reichlich Platz und geregeltem Verkehr. Die Halle durfte nur von einer Seite betreten und über eine andere Seite wieder verlassen werden – inklusive Rundspaziergang ums Messegelände bis runter zum Red Bull Creators Club für alle Autogrammjäger. Schlecht, wer da unterwegs war, als es diesen riesen Wolkenbruch gab.

Was aber noch nicht beantwortet wurde ist die Frage, ob die Influencer denn nun zur gamescom gehören oder nicht.
Bei Marcel, besser bekannt als MontanaBlack88, ist das keine Frage. Er ist Gamer erster Stunde und nur gerade deswegen Influencer. Mit Twitch verwachsen und als „Nintendo Game Cartridge“-Sammler mit ausreichend Gamer-credibility ausgestattet. Auch wenn er die Tage zum Bewerben seines Energiedrinks nutzte… Aber was ist mit YouTubern, die so nix mit Gaming am Hut haben? Die auf der Messe parfümierte Turnbeutel mit Goodies verteilen? Oder Live-Streaming Personalities, die eher wenig gaming content aber viel Selfie content produzieren? Oder, oder oder. Was ist nun, mit den Influencern?

Als Antwort darauf eine Begebenheit, die sich auf dem Weg zum Ausgang abspielte. Eine Gruppe Jungs glühte vor Glück darüber, ihre Helden – Streaming-Influencer – getroffen zu haben. „Haste gesehen, Amar so, mit seinem Entenarsch, wackelt so über die Bühne!“ LOL. Riesen Freude, voller Bewunderung. „Und er dann so…“ Und Honeypuu oder Lola, da am Durchgang. „Guck mal, ich hier mit…“ Und: weißt du noch! Lachen. Handyfotos. Stuff of legend. Diese Momente werden die Jungs über Jahre bei sich tragen. Auch das ist die gamescom. Festival und Woodstock. Die Plattform, auf der Jugendliche und Oldtimer all das feiern können, was ihre Welt bewegt.

Der Trend geht zum Erfahrungs-Dings. In einer zunehmend als unpersönlich, vereinsamt oder digital empfundenen Welt, zählen die Live-Events. Die Sensation. Das Erlebte. Das Selbst-Fotografierbare. Jochen Schweizer liegt also ganz weit vorn. Der „gaming“-Saturn Xperion in Köln hat das auch erkannt. Der revolutionäre Erfolg der Live-Streamer liegt begründet im „live“ und im „Rückkanal“, dem Interaktiven! Knossi mag an einem Tag Zehntausende Zuseher haben, aber immer mal wieder begrüßt er eine oder einen Zuseher mit Namen, ganz direkt. Und wer mal in einen kleinen Stream geklickt hat und quasi unmittelbar mit einem Streamer chatten/sprechen konnte, der kennt die Magie der direkten, der Live-Interaktion. Und es verstärkt sich noch, wenn man so (gefühlte oder echte) Gleichgesinnte trifft.

Daher ist die Frage, ob die Influencer und Content Producer zur gamescom gehören, eben auch klar zu beantworten: Ja, tun sie. In Maßen vielleicht, aber ja.
Denn die gamescom ist eben auch Pop-Kultur-Event und hat viele Anknüpfungspunkte und Verästelungen. Auch die Cosplayer gehören zum „eye candy“-Aspekt der Messe – aber eben auch zum „live Spaß“-Aspekt! Muss man das auflösen. Eher nicht. Denn da steht die gamescom wohl vor dem selben Dilemma, wie z.B. Twitch selbst. Was ist mit IRL und Just Chatting Streams, oder den Pools & Whirlpool and Beaches creators? Alle wegbannen? … jaja, genau. Bis auf Amouranth, gell? Ach kommt, das bisl „Goldfisch am Eingang“ wird nicht schaden. Sonst kommt eben keiner.
Das alles muss sein. So wie die zu-vollmundig-großen Announcements der Publisher oder die umgebauten Showcars, die Nebelmaschine, die Scheinwerfer, der brüllende Lärm, Musik und Videowalls. Eben der ganze Zirkus der da Jahr für Jahr in Köln abgeht. Muss sein. Und wieder im nächsten Jahr! Bestimmt.

gamescom 2023 – Wie war’s?

Am Rande der Messe richtete ein sichtlich abgekämpfter, geschwitzter Gamer seinen Lanyard und ordnete die schweißnassen Haare. Mit Recycling-Papier aus dem Spender wurde das Gesicht getrocknet, auf dem ein diffus glückliches Lächeln ruhte. Auf einen besorgten Blick hin kam dann eine verschworene Parole, mit komplett heiserer Stimme voller Stolz gesprochen: „gamescom eben.“ – Ja, ich weiß, genau: gamescom eben.