Live Streaming Alternativen
Wer meint, dass der Nabel der Live-Streaming Welt Twitch.tv ist, der irrt. Die Amazon Plattform hat sich einfach in den letzten Jahren dank cleverem Marketing und der frühen (vielleicht damals innovativen) Fokussierung auf Live-Gaming-Inhalte einen Namen und ein Image gemacht. (Weg von Justin.TV, hin zu Gaming als Twitch – wir erinnern uns.) Aber die Konkurrenz schläft nicht. Und so gibt es heute in 2022 eine ganze Reihe guter Live Streaming Alternativen für den etablierten oder erst beginnenden Streamer. Viele davon sind recht unbekannt aber manche sogar echte hidden champions. Wir haben hier mal einen Überblick zusammengestellt:
YouTube Gaming
Ja, YouTube kann auch Gaming Content und positioniert sich mit dieser Facette naheliegend unter YouTube Gaming. Klar ist damit gemeint „live streaming“ Game Content. Und tatsächlich kann YT „live“ ja auch recht gut, aber eben unter einer anderen Rubrik. Klickt man auf „Live“, dann landet man auf einer automatisch generierten Seite mit Live-Inhalten – aber aus allen Rubriken, nicht nur Gaming. Okay, auf Twitch z.B. findet auch nicht nur Gaming statt, aber man merkt schon, dass auf YT die Ausrichtung irgendwie anders ist. Irgendwie weniger fokussiert, auf Live, auf IRL, auf Gaming. YouTube kann eben alles. Und das ist irgendwie das Problem. Es ist so ein Wust an Content, dass alles darin untergeht.
Was man immer wieder hört ist, dass YouTubes Technologie besser ist, die Streams verlässlicher, die … was auch immer. Das ist eine alte Taktik von YouTube/Google: „abliefern“. Vimeo hatte mal bessere Qualität, HD!, als YouTube noch SD war. Aber das hat der Google Tanker dann langsam aber stetig aufgeholt und heute streamt man auf YT 8K Inhalte. Google macht man eben nur schwer etwas vor. Oder nicht lange.
Aber YouTubes Ballast ist eben, dass man auch irgendwie alles kann. Daher gibt es keine auf das Streamen zugeschnittenen Gimmicks. (Oder zumindest noch nicht.) Die „Dono“ Infrastruktur ist noch nicht so richtig da, die Sache mit den Subscriptions, das Abo-Modell nicht so etabliert. Und die Community übersieht YouTube einfach mit der Verachtung der Gewohnheit: Auf Twitch läuft Live – das hat man so gelernt, auf YT läuft Video-on-Demand. Das ist schwer abzuschütteln. Aber wer wirklich will, hat mit YT eine solide Streaming Infrastruktur, dafür aber dann vielleicht (noch?) nicht die Community. Warum streamt eigentlich niemand Simulcast Streams, auf mehreren Plattformen…?
trovo.live
Wer einen amtlichen Twitch Klon sucht, der findet ihn in Trovo Live (Eigenschreibweise „trovo“, Domain trovo.live). Das zum chinesischen Tencent-Konzern gehörende Portal bietet, wie Twitch, eine Gliederung in thematische Kategorien, Chat, Abonnements und reiche Interaktionsmöglichkeiten. Je nach Tageszeit findet hier gefühlt viel südamerikanischer Content statt. Überhaupt scheint internationaler Content, wie gesagt – je nach Tageszeit, den Weg auf die Homepage zu finden – was gut ist, weil es über den Tellerrand schauen lässt. Was aber wirklich auffällt, ist, wie gut die Plattform performt: bei Klicks auf Vorschaubilder starten die Streams fast ohne Verzögerung. Alles ist flüssig und sieht gut aus. Das DevOps Team hat hier wirklich seine Hausaufgaben gemacht. Bei Twitch hakt es ja gerne mal… Respekt auch für die Tatsache, dass alle Inhalte top ins Deutsche übersetzt sind! Es gibt auch eine App und selbst für kleine Gags (animierte Grafiken, etc.) im Layout hat man sich Zeit genommen. Ein wirklich ernst zu nehmender Mitbewerber. Und eine gute Alternative für Streamer, die Twitch den Rücken kehren wollen oder eine Alternative suchen.
Kick
Ebenso grün, wie das trovo live Logo ist das offizielle Grün der Australischen Plattform Kick.com. Und auch die gut bekannte Marke der Funding-Plattform „kickstarter.com“, mit Grün und „K“, hat ihre Ähnlichkeiten. Da hört es aber auch auf. Eine pixelated Schrifttype und ein pixeliges „K“ weisen das Unternehmen kick als Gaming-zentriert aus und eine fehlerfreie technische Umsetzung zeigt: hier sind Profis am Werk. Und so ist es auch. Erst vor wenigen Monaten, im Dezember 2022 gestartet, ging kick ab wie eine Rakete. Das liegt nicht nur an der Umsetzung, sondern auch an den tiefen Taschen der Macher hinter dem Dienst. Die sind reich geworden mit Online-Glückspiel, dem Anbieter stake.com. Und als Promo für kick hat man richtig Geld in die Hand genommen und einige der größten Streamer der Welt zum Wechsel auf Kick überredet. Nicht exklusiv, aber immerhin. xQc ist dabei, Amourant, Ninja und in Germany OrangeMorange oder Scurrows. Monte und Pokimane haben bisher abgelehnt. Zu moralisch unsauber schien ihnen das Geld der Neuen im Ring. Auch die derzeit noch höheren Revenue Shares auf kick stimmten sie nicht um. Aber ist kick, mit seinem Geld Background so viel unschöner als andere Plattformen, oder ist das Argument nur vorgeschützt? Aktuell führen wohl vielmehr andere Gründe (Gewohnheit, Strahlkraft der Marken YouTube und Twitch, Unsicherheit) zum (noch) loyalen Festhalten am Platzhirsch Twitch.
Facebook Gaming
Auch Meta hat mit seinem Brand Facebook seit 2018 ein Livestreaming Portal im Köcher. Facebook Gaming ist tatsächlich ein ausgewachsenes Angebot, es gibt Chats – die wie WhatsApp aussehen, es gibt Clips, Kategorien… den ganzen Zinober. Und auch im DevOps Bereich punktet Facebook: Streams starten fast sofort, alles ist snappy und funktioniert. Allerdings ist das Ganze auch irgendwie „abgehängt“ in den Details. So gibt es etwa keinen auffindbaren Dark Mode, weder als Schalter noch über Standards. Wenn man die Seite z.B über unser Dark-Mode Umschalter Browser-Add-On auffordert, eine dunkle Version auszuliefern, dann passiert nix. Schon hier in der Übersicht blendet den geneigten Leser der helle Screenshot. Im Live- und Game-Streaming Umfeld ist Darkmode eben Pflicht. Wichtiger aber ist, dass es wohl kein Donation oder Subscription Feature gibt! Die Etablierung eines Ökosystems ist für Streamer und Zuschauer eine relevante Sache. Zudem ist Facebook Gaming in Deutschland quasi unbekannt. Und das, obwohl Microsoft, als in 2020 der MS eigene Dienst Mixer eingestellt wurde, alle Nutzer auf Facebook Gaming umgelenkt hat! In Frankreich scheint das anders zu sein – viel Content ist aus dem Nachbarland. Aber Facebook, dessen Stern ohnehin gerade sinkt, tut sich sicher keinen Gefallen, hier Ressourcen zu versenken und gleichzeitig das Resultat nicht weiter nach vorne zu bringen. Es wirkt lustlos, und so werden sich auch keine glühenden Fans finden – weder bei den Streamern noch bei den Zuschauern.
DLive
Kommen wir von den Großen, zu dem wirklich kleinen Mitbewerber in diesem Reigen. DLive sieht aus wie eine Gaming Platform, ist aber mehr und bietet auch vielen politischen Content-Creatorn ein Zuhause. Diese Entwicklung kommt wohl daher, dass das 2017 in den USA gegründete und mittlerweile zur Firma Rainberry (ex BitTorrent) gehörende Portal ursprünglich, zumindest zum Teil, auf blockchain -artigen Protokollen und Technologien basierte. Diese Basis-Idee teilt es zum Beispiel mit der YouTube Alternative Odysee. Wie sehr, ob wirklich und wieso das alles so ist – kommt einem manchmal wie ein Marketingtrick vor, aber gut. Auf DLive gibt es jedenfalls daher ein eigenes Ökosystem mit einer „Limonen“ genannten Währung. Die passt gut dazu, dass es bei den Inhalten auf DLive eine Tendenz zu freigeistlichen oder alternativen Inhalten gibt – oder das zumindest kolportiert wird. Wer als neuer Streamer allerdings nicht auf der Suche nach einem neuen „Streaming-Ansatz“ ist, sondern nach einem großen potentiellen Publikum, der ist hier falsch. Die Startseite zeigt gern die Top-Streams mit 10 oder weniger Zuschauern.
Brime TV
Kommen wir nach dem kleinsten Twitter-Klon zum obskursten. Das Ding heißt Brime und wurde angeblich von einer Gruppe um die ex-Mixer Streamer Dr Disrespect, Ninja und Shroud mit Kohle von Spotify gegründet. Wir erinnern uns: Mixer war der Microsoft-Versuch einer Livestreaming-Plattform, die in 2020 abgeschaltet wurde. Spotify also? Plus hochkarätige US-Streamer..? Da war das Medienecho groß… Problem war nur, dass das alles nicht stimmte. Wer wirklich hinter Brime steckt, ist ziemlich unklar. Die Seite hat kein gescheites „About Us“, der Twitch Account spricht von „Transparenz“, aber man weiß nicht mal, ob die Company-Seite watchbrime.tv – die das „alte“ Brime Logo mit den roten Buchstaben nutzt – zur Firma gehört. Das Logo ist nämlich mittlerweile ein violett-rotes Viereck… Egal. Auch wenn in 2022 die Zuschauerzahlen nach eigenen Angaben stark angezogen haben, sieht es eher nicht so aus, als ob Brime lange dabei sein wird. Die Seite lädt langsam und Streams starten arg verzögert. Lags und Bottlenecks. Ist der Grund, dass die ganze Infrastruktur in den USA steht? Kein globales CDN? Mögliche Erklärung, aber für eine Plattform, die auf Höchstbandbreiten basieren wird (hallo!? Video Streaming… mehr geht kaum), ist das ein trauriges Bild.
Gute DevOps geht anders – was uns zum nächsten Kandidaten bringt:
Nimo TV
Nimo TV ist ein solider Twitch Klon, auf dem überwiegend gefühlt philippinischer und türkischer Content stattfindet. Es gibt ein eigenes Ökosystem und viele viele kleine Features und Details, die man von Twitch kennt und auf einer anderen Plattform erwartet. Dass das Ganze technisch gekonnt hingewuppt ist, kommt daher, dass Nimo TV ein weiteres Label des chinesischen Internetriesen Tencent ist, der auch das oben beschriebene trovo.live betreibt. Die Zuschauerzahlen in den jeweiligen Märkten sind aus deutscher Sicht überraschend hoch. Die Features sind da. Die „Nimo trovo Tencent“-Connection deutet darauf hin, dass Twitch gehörige Konkurrenz hat und sich eine Segmentierung in regionale Märkte oder Themenfacetten durchaus andeuten könnte.
Huya Live
Nach Nimo TV und trovo.live ist es Zeit, das chinesische Original, das Portal Huya Live vorzustellen. Huya Live ist eine eigene börsennotierte Firma und gehört erst seit 2020 mit ca. 50% zum Tencent Konzern. Der andere Miteigentürmer ist die ebenfalls chinesische Firma JOYY, die ihre eigene Reichweite einer Art YouTube/Facebook-Social-Network mashup Portal verdankt (YY.com). Huya bietet neben Game Streaming auch viele andere Arten von Live-Content, von IRL über Kochen, Tabletop Gaming bis Mok-Bang. Insofern ähnelt es hier sehr der deutschen Streaming-Landschaft, zumindest wenn man diese als das Spektrum zwischen YouTube und Twitch definiert. Weil alles chinesisch und damit ein wenig exotisch ist, gleicht ein Besuch auf der Seite einem Shoppingtrip durch ein asiatisches Kaufhaus. Aber die solide technische Infrastruktur erklärt schlüssig, warum Nimo und trovo technisch ebenfalls so gut dastehen und woher sie ihre Kraft ziehen.
DouYu
Nimo, trovo, Huya und jetzt auch noch DouYou!? Ja. Die Liste der Tencent Live-Streaming Plattformen ist wirklich lang. Und DouYou ist von denen nicht die kleinste, sondern die größte! Nach Wikipedia-Zahlen ist die Audience auf DouYou sogar größer als auf Twitch. Tencent besitzt 37% der Company. Schon am massiven in Auge blendenden „light“ oder „white mode“ (vs. dark mode) der letzten beiden Kandidaten lässt sich erkennen, dass die Seiten deutlich auf den asiatischen Markt ausgerichtet und eher keine Alternative für einen europäischen Streamer sind.
damit schließt sich für heute unser kleiner Überblick. Aber von Vollständigkeit kann keine Rede sein, denn die Zahl der Portale ist einfach zu groß. Livestreaming Alternativen sprießen wie Pilze aus dem Boden. Zu nennen wäre noch Bilibili mit seinem Live Angebot, genauso YY.com, oder Caffeine.tv oder Afreeca.TV und auch Steam heck etwas aus.
Wer hier die Nase vorn hat, hängt ab von technischer wie sozialer Kompetenz. Denn neben Infrastruktur und Betrieb einer Seite entscheidet auch das Publikum über den Erfolg. Also, wer bietet gute Features und bringt den interessanten Content? Insofern ist die Twitch-Strategie unschlagbar, denn die Verbindung mit Amazon Prime, die hohe Affinität von Top-Streamern zur Plattform und ein funktionierendes Ökosystem – all das macht den Erfolg aus und braucht tiefe Taschen. Tencent ist daher ein ernstzunehmender Konkurrent im Ring und hat bereits gute Brands im Rennen. Die Lokalisierungsstrategie scheint zudem aufzugehen. Ein Außenseiter könnte das Feld noch aufräumen, aber weder Brime noch DLive machen bisher eine gute Figur. Da könnte es durchaus sein, dass sich am Ende der Kandidat mit den tiefsten Taschen und dem längsten Atem herausmendelt. Mal sehen, was also noch von Alphabets YouTube und Facebook Gaming so kommen wird.
Ein letzter Tipp: der MSN eSports Hub
Hier am Ende erwähnt sei der MSN eSports Hub. Nur „erwähnt“, weil es keine live streaming Alternative ist, sondern eine Art „meta hub“, ein „Aggregator“. Microsoft hat sich vor einigen Jahren mit einem eigenen Live-Streaming / Gaming Portal ins Rennen begeben. Dazu kaufte man die Plattform Mixer kurz nach deren Gründung in 2016 und integrierte sie ins XBOX Universum. Allerdings war man damit ein wenig spät dran. Der generisch und schlecht unterscheidbare Name half wohl auch eher wenig. Das führte dazu, dass die Seite immer ein Nischendasein führte. Nur vier Jahre später zog Redmond daher bei dem Projekt wegen Erfolglosigkeit den Stecker.
Irgendwie übrig geblieben, von dem Anlauf auf die „Gaming-Bastion“, ist aber dieses obskure Gaming Portal, dass unter der MSN News Seite angegliedert ist und erst kürzlich an den Start ging. Wenn man die Seite aufruft, bekommt man einen Überblick über Streams, die gerade laufen. Alles auch nett in Kategorien sortiert und sehr übersichtlich. Klar sind viele Inhalte von Twitch – aber manchmal mischen sich auch andere Streaming Alternativen dazu. Hilfreich ist auch ein offenbar redaktionell gepflegter „Kalender“, mit den Terminen von bemerkenswerten Streams, eSport Arena Events, Game Turnieren, etc. der nächsten Tage. Eine Art Online TV Fernsehzeitung. Nicht ganz vollständig und meistens voll mit noch nie gehörten Veranstaltungen, aber trotzdem ein guter Versuch. Wie überhaupt dieses ganze Portal ein guter Versuch ist. Dass das Ding hin und wieder mal down ist… deutet vielleicht darauf hin, dass es vielleicht auch bald von MS gestrichen wird.