Trymacs vs. MckyTV oder die Rückkehr der Klopperei
Es war scheinbar zu lange vergleichsweise friedlich in der westlichen Welt. Wer heutzutage Beef hat, mit irgendwem, der sucht den Kampf, der haut auf’s Maul. Joyn streamt am 02.04.2022, einen Tag nach den Aprilscherzen, eine Reihe von Boxkämpfen zwischen Twitch Stars. Headliner für den Abend sind Trymacs und MckyTV. Das Event „The Great Fight Night“ ist dabei gleichermaßen Werbevehikel für den Streamingdienst und Blitzableiter für den in der Streamingszene aufgestauten Zank.
Die hamburger MediaTotal produziert und Pro7/Joyn streamt das ganz groß aufgezogene Ereignis. Steven Gätjen moderiert das Drumherum und versucht sich als Michael Buffer, Ringside Reporter ist Marc Gebauer – Axel Schulz kommentiert die Kämpfe fachlich zusammen mit Tobias Drews.
In der Streamer Szene, auf Twitch und YouTube wurde das Event lange herbeigesehnt. Jeder hat drüber geredet, onstream und offline. Immer wieder wurde auch versucht, weitere Streamer zu einem Fight zu überreden. Besonders Knossi wurde immer wieder belagert. In der Halle fand sich daher dann auch das Who is Who der Twitcher und YouTuber ein: MontanaBlack, Knossi, Amar, xRohat, Tanzverbot, Rewinside, UnsympathischTV Sascha mit HoneyPuu, EliasN97, Papaplatte, Flying Uwe, Reved, Hey Aaron Troschke, der GTA und Roleplay Server owner SpartaTheOriginal, 7 vs. Wild Dave, Shpendiboy, Aufsteiger Hollywood Matze und .. und .. und.
Rumathra vs. Vlesk machen dann im Ring den Auftakt. Der Kampf Rewi gegen Amar fällt aus – beide „krank“. Rewi saß allerdings, wie gesagt, in der ersten Reihe neben Knossi und Monte. Rewi verriet Reporter Marc aber in einer Pause, dass der Kampf nachgeholt würde.
Chefstrobel und xHankyy begehen den zweiten Kampf, den xHankyy durch ein technisches K.O. in Runde zwei gewinnt. Als Musik-Act tritt Monet192 auf. In einem weiteren kurzen Ringside Plausch sieht Papaplatte Mcky vorne, „weil er der Underdog ist“. Sascha dagegen wähnt Trymacs vorne, weil „Max jemand ist: wenn er am Boden liegt, steht er wieder auf, weil er ein gutes Event haben will“. Das gilt bestimmt für beide, auch für Mcky – aber Sascha lag am Ende richtig, denn:
Trymacs vs. MckyTV im Main Event
Im Kampf Trymacs vs. MckyTV siegt Trymacs nach einhelliger Punkterichtermeinung mit dreimal 79:73 Punkten über 8 Runden. In jeder Runde konnte der körperlich wuchtigere Trymacs den wohl auch konditionell etwas unterlegenen Mcky stets übertrumpfen. Am Ende siegte Trymacs daher nicht nur nach Punkten, sondern entschied auch jede Runde mit 10:9 für sich. Dem Kampfgeist und der Fairness tat das aber bei beiden keinen Abbruch. Man sah einen fairen Kampf zweier Sportler, die mit Respekt füreinander ihren Einstand in einer uralten und, dank ihrer Abstraktion, noblen Sportart gaben. An diesem Abend mögen Amateure geboxt haben, aber für den Boxsport gab es hier viel Professionalität zu sehen.
[Ein kurzer (37 Sek) Clip des Kampfes und der anschließenden sportlichen Versöhnung wurde auf Wunsch von Joyn entfernt.]
MediaTotal / ProSieben will das Event offenbar wiederholen, denn Steven Gätjen betonte immer wieder, dass dies die erste Great Fight Night war. Im Interview nach dem Kampf kündigten beide Kombattanten auch einen Rückkampf an.
Die Vorgeschichte des Promiboxens
Stefan Raab hatte auch mal Beef, mit Moses Pelham. Immer wieder reizte Raab den Rapper in seinen TV Shows. Das Ergebnis war dann, dass Pelham auf einer Medienparty der Faden riss und er Raab einen Faustschlag auf die Nase setzte. Raabs Brille zerbrach dabei. Es folgten Verfahren und so. Raab nahm aber sichtbar davon mit, dass er fortan nur noch ohne Brille auftrat. Ein neuer Look. Aber wie der Look, so blieb wohl auch der Makel des „Niedergeschlagenen“ haften und nagte an ihm. Auf der einen Seite der schwergewichtige Rapper, auf der anderen das Comedy Leichtgewicht. Sind Medienschaffende „Luschen“?
Als es wieder Beef gab, forderte Raab die Boxweltmeisterin Regina Halmich zu einem Boxkampf heraus. Raab importierte damit erfolgreich das aus den USA bekannte Format des Promiboxens ins deutsche TV. Zum Hype trug damals bei, dass Raab eben eine Frau herausforderte. Weichei-Vorwurf und Gegenteil-Beweisen in irgendeine Richtung inbegriffen, eben. War ’ne große Sache damals.
Die Erinnerung an fette Quoten schwang wohl mit, als in der Streamer-Szene die Idee zu diesem Event geboren wurde. Und die Zutaten sind ja wieder dieselben: der Vorwurf, oder die Vermutung, die Unterstellung, ein „Weichei“ zu sein. Der Gamer, der Streamer, der Nerd – das sind vielsitzende Stubenhocker – richtig? Da gilt es, das Gegenteil zu beweisen! Als Kai Pflaume vor wenigen Monaten einige der Streamer zu seinen Ehrenpflaume Videos trifft, ist der auch verwundert, dass ihn gefühlt jeder – Rewi, Trymacs – zum Fitness mitschleift. Die Idee des Boxens liegt da schon in der Luft und die Jungs sind schon im Training. Aber Fitness ist ja auch gerade so ein großes Ding. Wer als Streamer zu Geld gekommen ist, der hat dann irgendwann alles. Was dann nur fehlt ist: Gesundheit. So, oder so ähnlich kommt es dann, dass Kai eben mit zum Training muss. Alle top fit, die Gamer.
Der Abend der Wahrheit ist dann auch eine richtig große Sache. Samstag 18h in Deutschland. LanXess Arena in Köln. ProSieben hat ja bereits Erfahrung mit Promi-Box-Events. Da stimmen die Scheinwerfer und alle loben, freuen und wundern sich, dass Steven Gätjen – eben noch in Hollywood für die Oscars – sich zu diesem „kleinen Streamer Ereignis“ einfindet. Hallo? Joyn ist Pro7. Egal.
In einer Pause dann treten Prominente aus dem Publikum und auch einige boxerfahrende Kandidaten zu einem kleinen Intermezzo am Boxautomaten an. Wer landet den härtesten Schlag? Das alte Kirmes-Ding. Da sieht man harte Schläge und auch geübte Schläge. Zuschlagen ist offenbar auch eine relevante Fertigkeit.
Der Beigeschmack
Nochmal: warum ist das so interessant, dieser Boxkampf der Streamer? Na, wegen des Vorwurfs, der Vermutung, „ja, die können das Streaming-Ding, sind so und so erfolgreich damit, mit diesem oder jenem Nerd-Kram – aber wenn es ‚drauf ankommt…“ Da ist sie, diese Vermutung der Schwäche. Sich beweisen, kein stubenhockender Feigling sein. Auch der Spruch „seinen Mann stehen“ fällt im Laufe des Abends. Das sind die (wieder gefragten?) Ansprüche. Für den Gamer, der First-Person-Shooter noch und nöcher gespielt hat – für diesen Typ ist der Kampf Mann gegen Mann die Feuerprobe.
Es ist zum Teil das Prinzip des Buchs (und Films) „Fight Club“: der Gesellschaft wird Verweichlichung unterstellt. Das Fehlen wahrer, authentischer Erfahrung. Und weiter, jenseits vom Fight Club: Pazifismus wird zu Feigheit umgedeutet, eine hochstehende kulturelle Errungenschaft verächtlich beäugt.
Der Boxsport ist Pazifismus. Er mag martialisch sein, aber er ist kultiviert. Seit den Griechen. Seit der Antike. Sport ist Wettkampf. Nur in seinen schlechtesten Momenten ist Sport die Fortsetzung von Auseinandersetzungen mit anderen Mitteln. Umgekehrt ist für einen Konflikt seine Umwandlung in Sport, die Fortsetzung der Auseinandersetzung mit anderen Mitteln, die edelste Form. Das ist das Verdienst dieses Events. Das ist der Unterschied zwischen einem Punch auf die Nase und einer Forderung zum sportlichen Duell.
Der Beigeschmack im größeren Kontext
Im größeren gesellschaftlichen Kontext betrachtet, hat das Event dagegen schon einen Beigeschmack. Wir leben gerade in einer Zeit, in der Gewalt zunehmend als probates Mittel betrachtet zu werden scheint. Der erste Satz dieses Artikels gehört wohl eher hier hin: Es war scheinbar zu lange vergleichsweise friedlich in der westlichen Welt. Man traut sich wieder was. Man stellt sich wieder „breitbeinig“ hin. Eine Krise bricht aus und der Griff zu den Waffen wird ohne größere Zweifel als logische Konsequenz gesehen. Politikerinnen und Politiker mit kleinen Kindern sehen das so. Und eine Generalmobilmachung der Männer eines Landes mit einem shrug „ja klar, wie denn sonst“ nach Jahren der Hinarbeit auf vollkommene Gleichberechtigung kritiklos hingenommen. Darf man den Kampf verneinen? Ist Pazifismus Feigheit?
Unter Jugendlichen grassiert der schlimme Mobbing Trend des „Happy Slapping„. Aus „heiterem Himmel“, ohne Vorwarnung, werden dabei Personen geschlagen und das Resultat zur Erniedrigung gefilmt und veröffentlicht. Oliver Pocher hat das gerade erlebt: ironischer Weise beim Besuch eines Boxkampfes kommt ein no-name YouTuber und haut ihn mit einer harten verunglückten Backpfeife, ganz nach dem miesen Rezept, aus „heiterem Himmel“, vom Hocker. Weil Pocher angeblich seinen Buddy beleidigt habe, oder so ein Scheiß.
Auf der ganz großen Bühne ist das auch erst gerade passiert (wir haben einen Clip): Chris Rock moderiert die Oscar-Verleihung. Die Academy Awards in den USA sind ja das größte Ereignis in der Filmwelt. Da gucken immer gut eine Milliarde Menschen weltweit zu. Mehr Bühne geht nicht. Und Comedian Chris Rock macht einen eher schlechten, weil eine Erkrankung streifenden, Witz zur Frisur von Will Smith‘ Frau Jada Pinkett Smith. Der „Prinz von Bel Air“ lacht erst herzlich, seine Frau verdreht die Augen. Die Kamera schneidet weg und plötzlich marschiert Smith zu Chris Rock auf die Bühne und gibt ihm eine harte Ohrfeige. Culmination einer jahrelangen „Fehde“ zwischen Rock und Smith. Und eine sehr geübte Backpfeife. Warum kann er das so gut? Das macht das ganze fast noch unerträglicher. Denn schon so ist die Aktion ein verheerendes Signal. Wir sahen einen Mann, der für seine Frau gewalttätig wurde. In einer Welt, die zunehmend Gewalt als probates Mittel anzusehen scheint. Will Smith rechtfertigt sich damit, dass die Kraft der Liebe ihn dazu getrieben habe. Oder ein so ähnlicher Käse. Gewunden hat er sich, in seiner Rede danach: gerade noch das „Gefäß der Liebe“ in der Welt sein wollen, kurz davor aber noch jemanden niedergeschlagen. Läuft. Am Ende will er uns vielleicht noch glauben machen, er wollte Chris die Versöhnung einprügeln, oder so. Verstörend.
Nun, das eine hat vielleicht weniger mit dem anderen zu tun, als hier angedeutet. Der Artikel schlägt einen durchaus großen Bogen. Aber das sind die Gedanken, die einem beim Zusehen, bei diesem Event so kommen. Auch ein Verdienst: es regt zum „drüber nachdenken“ an. Und beim Boxen ist das wichtig. Boxen ist Sport. Es sollte nie Gewalt verherrlichen. Tut es auch nicht. Aber man sollte dafür sensibel sein und immer wieder darauf hinweisen. Denn Kampfsport ist auch immer eine Gratwanderung, die stete Aufmerksamkeit verlangt. Daher: Gegen Gewalt, in jeder Form. Auf den Sportsgeist.