Abschaffen? Olympische Winterspiele in Peking 2022
China lädt ein. XXIV. (24.) Olympische Winterspiele in Peking 2022. Unter „Corona-Bedingungen“. Mit großem Aufwand. Und großer Show. Das Vogelnest in Beijing – wie Peking in anderen Teilen der Welt heißt – ist wieder, wie schon bei den Olympischen Sommerspielen 2008, fokaler Punkt der Feierlichkeiten um dieses weltweit größte Sportereignis. Neben Chinas Hauptstadt Peking werden auch noch die Orte Yanqing und Zhangjiakou Austragungsorte für insgesamt 15 Sportarten sein. In den nächsten Tagen werden 109 Medaillensätze vergeben. Nicht ganz so groß alles, wie im Sommer, aber es wird wieder viel passieren. Olympia ist noch immer ein großes Ding. Und so auch immer die Eröffnungsshow.
Eröffnungsfeier im ZDF
Das ZDF überträgt die Eröffnungsfeier heute zwischen 13 und 16h. Geklammert von der Sportschau übernehmen den Off-Kommentar der Feierlichkeiten der ZDF China-Korrespondent Ulf Röller und Reporter Nils Kaben. Davor und danach im Studio moderiert Katrin Müller-Hohenstein, der ein Experte für die Menschenrechtssituation zur Seite sitzt. Und in genau diesem Zwiespalt ging es dann auch los:
Das Vogelnest, nach örtlicher Zeit im dunklen Peking, verwandelt sich dank einem das gesamte infield überdeckenden LED-Screens in eine Lichtfläche. In der Mitte darauf, eine große Gruppe Menschen, die viele Meter lange Leuchtstäbe synchronisiert schwenken und den Eindruck von im Wind wehendem Gras erzeugen. Die Szenerie wandelt sich und die Stäbe werden zu den Flugschirmen einer Pusteblume, die davon schweben. Ein Knall und ein gleißend heller Balken von Feuerwerksblumen steht wie in den Himmel genagelt am Pekinger Nachthimmel. Olympia ist da.
So weit, so poetisch. Aber die Freude an der Show konnte einem schnell vergehen, denn die Aufzählung der Sündenlitanei des Gastgebers wurde lang: Verfehlungen, Repressionen, Einschränkungen, Zweifelhaftigkeiten, Problematiken … solcherlei war sehr dominant im Kommentar. Okay, aber der Corona-Aspekt… nicht alle Einschränkungen sind nur Politik. Ist denn die No-Covid Strategie der Gastgeber mit der „Olympia Bubble“ so falsch? Wie soll man denn sonst die Spiele veranstalten?
Die Show ging dann in die zweite Phase. Eine vertikale Verlängerung des liegenden Riesendisplays am Rand des Stadions wurde zum Wasserfall. Gewaltige Wellen ergossen sich in die Arena und gefroren zu Eis. Aus diesem Eis, im center field, löste sich ein rechteckiger Block der zum Aquarium oder Eiswürfel wurde – eine Projektionsfläche für Animationen der bisherigen 23 Austragungsorte von olympischen Winterspielen. Zum Abschluss schmolz dieser Block dann ab und gab dramatisch den Blick frei auf die eisig glitzernden olympischen Ringe, dem Symbol von Völkerverständigung, Frieden und fairem Sportsgeist.
Bis dahin ging die, sicher berechtigte, Kritik an China im Kommentar weiter. Worte wie „zynisch“, „verachtend“, „schwierig“, „Drohung“, „Ärger“. Echt negativ, diese Sendung. Kritik ist ja immer gut. Jeder soll seine Meinung sagen, seine Ansichten teilen, auf Probleme hinweisen dürfen. Aber darf man Olympia auch als Entertainment sehen? Geht das nur, wenn man sich dem Kommentar verschließt, auf „Stumm“ schaltet und das Übel, von dem berichtet wird, ausblendet? Muss man sich dann auch gleich schlecht fühlen, dafür, dem unreflektierten Hedonismus verfallen, der Propaganda aufgesessen zu sein? Warum wird das denn dann übertragen? Doch nicht als Dokumentation der Ergebnisse – da würde der Videotext reichen. Man nimmt ja schließlich nicht teil, vor Ort. Also: warum guckt man sich das an? Was ist Sport? Freude? Unterhaltung? Zerstreuung? Oder: Egoismus der Athleten? Streit? Krieg mit anderen Mitteln? Was soll man denn nun glauben? Warum unterstützt unsere Gesellschaft den Sport? Weil es etwas Schönes ist? Oder weil man im internationalen Medaillenranking auftrumpfen will?
Olympische Winterspiele im Jahre 2022
Aber Moment! Olympische Winterspiele – war da nicht etwas anderes als Politik das Wichtige? Ach ja, die Sportler! So geht man dann, mit recht bitterem Beigeschmack, in den Teil mit dem Einzug der Athleten über. Und es wird irgendwie nicht besser. Gefühlt gibt es ebenso viele echte Nationen, wie die, die gar keine sind, sondern mit Fantasie-Flaggen ausgestattete Delegationen von irgendeinem Land das gerade wegen irgendeinem Konflikt gesperrt ist. Eine andere Nation mit echter Flagge hat gerade erst vorgestern in einem Militärschlag ganze Landstriche bombardiert. Egal. Man winkt dazu. Da Tropft die Ernüchterung aus jeder Sendeminute.
Die Erläuterungen aus dem Off geben dann weiter Einblick in die komplizierte Welt hinter der bunten Fassade Olympias. Quasi jeder Sportler eines kleinen Landes wurde eingebürgert oder ist ausgewandert. Die Flagge ist mehr Symbol einer Migrationsgeschichte, denn Ortsangabe. Oder ein Gefühl. Oder so. Die Welt ist durchmischt heute, Globalisierung. Freie Ortswahl – und das ist auch gut. Nur: man wohnt dann irgendwo, aber im Herzen dann doch woanders? Wie denn nun, liebe Sportler? Und ist es dann auch gut, im Sport noch immer die Nation so herauszukehren? Ja echt jetzt: was soll das? Sind Länder jetzt x-beliebige Sponsoren geworden? Das passt doch alles nicht. Sollte man vielleicht nur noch die Einzelleistungen betonen? Aber wie geht das dann noch, mit dem Sport international? Da zerbröselt gerade irgendetwas.
Zudem wird man den Verdacht nicht los, dass hinter so mancher kleinen Delegation mehr das Geltungsbedürfnis von politischen Machthabern steckt, als echtes Interesse am Sport. Das „Geschacher“ mit den Olympischen Spielen ist groß, mit Olympia überhaupt. Und so ächzt der Sport dann auch, unter der Last der vielen Instrumentalisierungen – in die Zange genommen von Betrug, Korruption und Doping. Die Übertragung der Eröffnungsfeier ist dabei mehr Fortsetzung einer politischen Talkshow als ein sehenswertes Event.
Wie viel davon im Free-TV?
Der Vorankündigung des ZDF ist zu entnehmen, dass man im Zweiten vom 4. bis 20. Februar 2022 im Wechsel mit der ARD von den Olympischen Winterspielen in Peking berichten wird.
Für den sportinteressierten Zuschauer wird das Einschalten bei den Olympischen Spielen wieder ein Eiertanz zwischen Ausschnitten im linearen Programm, Live-Streams und dem Umschalten zu Eurosport. Teilweise ist das dem Umstand geschuldet, dass man bei den Öffis in 2015 alle Rechte an den Spielen an den Discovery Konzern verloren hatte (Eurosport ist Teil der Discovery Gruppe) und in der Folge auf eine (Gnaden-)Sublizenz von Discovery angewiesen war.
Olympische Winterspiele in Beijing 2022.
Da kommt echt viel zusammen. Hoffentlich deckt der weiße Schnee viel davon zu. Vielleicht wird das Olympia Ding ohnehin bald ganz verwehen. Kann weg. Wie Weltausstellungen. Ohne Reformen und Umdenken läuft das auf ein Ende zu. Rainhard Fendrich legte in seinem Hit „Es lebe der Sport“ von 1982 ja schon nahe, dass man eine gehörige Portion (schwarzen) Humor braucht, für den Sport im Fernsehen. Aber in puncto „Zynismusresistenz“ muss man als Zuschauer derzeit echt nochmal eine Schüppe ‚drauf packen.
Sehenswert: ja, unterhaltend: nein.
Sendungsinfo
Originaltitel: Die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Peking
BRD – 2022 – 143 Minuten – ZDF
Kommentar von Ulf Röller und Nils Kaben
Noch bis 11.02.2023 in der Mediathek verfügbar.