Kenn‘ den YouTuber: MrBeast
Das YouTube Video Phänomen MrBeast ist zweifelsohne einer der größten Kanäle auf YouTube, einer der erfolgreichsten YouTuber weltweit, Quelle einer der meist-abonnierten Videos auf der Plattform und wohl eines der größten Zeitlöcher der Social Video Geschichte. Denn eigentlich kommt niemand um MrBeast herum. Die eye-balls sind ihm sicher. Früher oder später wird eines seiner Videos jedem vorgeschlagen, vom Algorithmus oder per persönlicher Empfehlung. Die Titel sind Click-Bait pur. Die Thumbnails auch: die Augen – immer weeeiiit aufgerissen! Die ausgelobten Geldgewinne sind die höchsten, die Aktionen die spektakulärsten. MrBeast ist der Superlativ in allen Belangen. Was er anfasst, wird zu Internet Gold. Aber gelingt ihm wirklich immer alles?
Wie ist es so weit gekommen
Wäre MrBeast mit seinen Videos ein Start-Up-Unternehmen, dann könnte man bei ihm eine bekannte Strategie erkennen. Denn es gibt Start-Ups, die normal wachsen – werden Gewinne erzielt, dann werden sie zum Teil ausgeschüttet und zum Teil reinvestiert. Und es gibt Start-Ups, die komplett auf Gewinne verzichten, alles eingenommene Geld, dass auch nur irgendwie über bleibt, wird reinvestiert. So kann man den Turbo einlegen und noch schneller wachsen. So ein Start-Up war MrBeast als er seine Karriere begann.
Jimmy Donaldson, so der Realname von MrBeast, begann seine Karriere 2012 im Alter von 13 Jahren mit lustigen Videos. Wie so viele. Als sich erste Einnahmen aus Werbe- und Sponsorengeld einstellten, hätte vielleicht ein anderer das Geld selbst in die Tasche gesteckt. Nicht so MrBeast. Er ging hin und fing an, die Einnahmen an seine Zuschauer zu verteilen. In der Film und TV Welt ist es eine Maßgabe, möglichst viel von den Kosten einer Produktion „auf die Leinwand“ oder Mattscheibe zu bringen, „production value“ herzustellen. Diese Idee hat MrBeast einfach kurzgeschlossen: denn was wäre direkter, als die Zuschauer quasi direkt für das Zusehen zu bezahlen? Genau. Und dieser Logik folgte MrBeast von da an rigoros. Er schmiss das eingenommene Geld mit vollen Händen wieder unter das zusehende Volk. Dass er dabei auch noch das Image der Großzügigkeit angeheftet bekommt – darüber beschwert er sich natürlich nicht. Er ist einfach ein guter Mensch. Macht seine Videos aus Mildtätigkeit.
So wuchsen die ins Fenster gestellten Summen. Und genau so schnell wuchs die gefühlte Relevanz seiner Videos, die erhaltene Aufmerksamkeit und damit die Views seiner Videos. Damit wiederum die Summen und die Möglichkeiten. Ein Erfolgs-Teufelskreis! Und so sind wir hier nun, 9 Jahre später, und MrBeast hat mit seinen Videos knapp 90 Millionen Follower auf dem Hauptkanal und mindestens 50 Millionen Aufrufe auf einem durchschnittlichen Video. Stand Januar 2022 hat er 14,36 Milliarden Video Aufrufe im Hauptkanal! Jeder Beitrag ist dabei ein PR Stunt, wahr gewordener Wahnsinn und „was alle sehen wollen“ zugleich – zusammengebacken in einem schnell geschnittenen 10 Minuten Video. Mundgerechtes hardcore Entertainment, immer knapp an der Überdosis.
MrBeast = genial?
Schaut man sich die Ideen der einzelnen Videos genauer an, dann zeigt sich, dass das oft alte Hüte sind, die MrBeast geschickt für das Internet adaptiert hat. eBay war die Idee des Flohmarkts – nur adaptiert für das Internet. Amazon ist die Idee des Buchladens oder des Kaufhauses – nur adaptiert für das Internet. MrBeast ist die Idee des lokalen Tombola-Marketings / Lottogewinns / Ringelpietz – nur adaptiert für das Internet. Als YouTube Happen.
Das „den Lambo nicht loslassen“ Video
Da war z.B. letztens die Sache mit dem Lamborghini. MrBeast lobte aus, dass wer den nagelneuen Lamborghini zuletzt loslässt, der bekommt ihn geschenkt! Wow? Nein, alter Hut. Wer schon einmal in einem größeren Shopping Center war, irgendeiner mall, vielleicht im English-sprachigen Ausland, der kennt das. Und es gibt diese Tombola in verschiedenen Eskalationsstufen. Die harmlose Autohaus-Eröffnungs-Variante ist die, bei der die Fensterschlitze des Wagens ganz wenig geöffnet sind. Die Leute dürfen ausgefüllte Zettel hineinwerfen und am Ende ist das Auto selbst das Gefäß, aus dem in einer Zeremonie der Gewinner gezogen wird.
Die abgefahrenere Variante ist die, bei der es auch viel mehr Aufmerksamkeit für „das neue Einkaufszentrum“, oder was auch immer, gibt. Der Ort wird zum Event-Schauplatz. Die Verlosung läuft so, dass über persönlichen Einsatz jeder sein Glück quasi in die eigene Hand nehmen kann! Das Auto muss berührt werden – fast als besäße man es schon! Das macht es so pikant. Und demjenigen, der es schafft, das Auto am längsten festzuhalten, die- oder derjenige mit dem größten Willen, wird das Auto bekommen. Da wird dann campiert und taktiert. Es gibt Dramen und Geschichtchen. Das Pfahlsitzen der Neuzeit. Üblicher Weise stürzt sich die Lokalpresse auf so etwas. MrBest nimmt einfach seinen übervollen Sparstrumpf und genau diese Idee, kauft das grotesk teuerste Auto und filmt die Dramen, die sich dann entfalten. Fertig. 50 Millionen Aufrufe in 2 Monaten. Done.
MrBeast und das „Squid Game“, aber IRL
Oder die Sache mit dem Squid Game. Squid Game ist der aktuell größte Serienhit für den Streaminganbieter Netflix – zudem auch der erfolgreichste Serienstart in der Historie des Dienstes überhaupt. Die Serie handelt von sinistren Spielen in denen die Kandidaten grotesken Gewinn erringen können – aber auch grotesk verlieren können – nämlich indem sie ihr Leben als Einsatz setzen müssen.
Die Spiele sind dabei mehrere Level, jedes Level angelehnt an koreanische Kinderspiele. Eine Art Takeshi’s Castle nur „in ernst“. Die perfide Wendung des „survival of the fittest“ als Gameshow. Irgendwie lag das in der Luft, Netflix hat’s gemacht und einen Knüller gelandet. Als ob es Running Man (1987) nie gegeben hätte. Nachdem die Serie raus war, hat jeder zwischen hier und Pusemuckel darüber sinniert, wie es wohl wäre, wenn man diese Serie „in echt“ machen würde. Auch der Event-Camp erfahrene Knossi hat mal on-stream darüber nachgedacht, es dann aber schulterzuckend abgetan, weil ein anderer deutscher Streamer „da schon dran“ wäre. Lustig: er wäre der richtige gewesen, weil ja „Jens aus Rastatt“ auch schon bei derartigen Takeshi-Varianten Kandidat war.
Durchgezogen hat es dann aber: MrBeast. Klar, denn die Serie ist ja im Grunde die „Verfilmung“, die „Ver-Seri-fizierung“ seiner Videos. Nimm einen Haufen Geld und bringe arme Seelen dazu, für dieses Geld ALLES zu tun. So stellte er dann das erste Spiel der Serie nach: wer sich im falschen Moment bewegt, stirbt. Klar werden die Leute nicht getötet, es gibt nur eine kleine Explosion, aber es gibt fast $456K zu gewinnen. Zack, fertig war der Takeshi-Squid-MrBeast Remix. 1 Monat später: 200 Millionen Aufrufe auf dem Video. Safe.
Versteckspiel um ’ne Millionen
Dann die Sache mit dem Versteckspiel. Hat ja jeder mal gemacht, Verstecken gespielt – als 5-jährige oder auch als 10-jähriger. Dann war aber auch gut. SAT.1 versucht ja die Zuschauer schon länger davon zu überzeugen, dass Kinder- oder Schulhofspiele im TV total spannen sind. Naja, geht so.
Aber wie bekommt man etwas so richtig spannend? Wie erhöht man „die stakes“? Na klar, mit Kohle, Zaster, Kies – mit Geld. Als Stefan Raab die Wetten, dass…? Idee ge-remixt hat – nur mit sich als einzigem Wettkandidaten, in allen Wetten – da hat er ja auch die große Summe ins Fenster gestellt. Erst ’ne halbe Millionen Euro, aber mit Jackpot-Mechanik. So wurde es dann schnell eine ganze Millionen und mehr. Da war die Aufmerksamkeit garantiert.
Die „fette Summe“, das ist eben auch MrBeast Prinzip. Okay. Und irgendeinen Ringelpiez: sagen wir mal, das Versteck Spiel. Wie wäre das? So mittel? Gut, wie klingt: der Gewinner bekommt eine Millionen! Und wir verstecken uns nicht irgendwo kleinkariert, sondern in einem Sport-Stadion. Und wir nehmen bekannte Streamer als Kandidaten. Besser? Ja, besser. „Laws of Attraction“ eben. Denkt man so.
Auch MrBeast liegt mal falsch
Denn es geht dann wieder üblich alert los: alles ist riesig, alle Augen weit aufgerissen, alles super eilig, laut und wichtig! Dann verstecken sich die Nerds und was passiert? Eben. Beim Versteckspiel muss man warten, ob man gefunden wird. Und so ein Stadion ist dann doch ziemlich groß. Es wird gerannt, ge-WalkieTalkied, gefunden und hin- und her geschnitten. Aber: nun mal im ernst. Wen kümmert, ob die Kandidaten gefunden werden, in ihren Mülltonen und Abstellkammern? Die meisten davon so bekannt, dass sie das Geld ohnehin nicht mehr brauchen. Und so spult man vor, skipt im Video umher und klickt am Ende weg. Wurscht, wer da gewinnt. „Laaaaaangweilig!“
Die Lehre aus diesem Video kann dann sein: Geld allein, selbst riesige Beträge, machen eine Idee noch nicht interessant. Zumindest nicht dauerhaft.
Vielleicht war also an Schlag den Raab doch mehr dran, als nur die „große Geldsumme“ – könnte sein, oder? Die urigen Spielideen (man erinnere sich nur ans „Butterbrot wiegen“) oder die überraschende Wendung, dass der Raab, bei dem viele eine Fortsetzung von „der Raab bekommt eins auf die Mappe“ wohl erwartet hatten, sich zum Sympathen mauserte und man oft gegen die Kandidaten für Raab fieberte. Es war der Fleiß, das Beißen, die Kämpfernatur und Leidenschaft, die es spannend machte.
Vielleicht ist genau diese Komponente MrBeast abhanden gekommen. Das Raubtier hat er ja noch im Logo, aber wo ist dieser Wille zu kompromissloser wilder Unterhaltung, Entertainment auf den Punkt gebracht? Es könnte sein, dass das eine Phase war und ein Zufallstreffer.
Sieht man sich die Historie der Videos von MrBeast an, so sieht man, dass er in seinen diversen Häutungen immer dem Erfolg gefolgt ist. Da ist diese Zielstrebigkeit. Die „Lustiges Intro“ Videos laufen? Okay, mehr davon. Dann die „seltsamer Selbstversuch“-Videos …sind noch besser – dann mehr davon. Aus versehen etwas mit Geld gemacht und die Leute kommen noch zahlreicher? Dann noch mehr Geld! Dass sich diese Logik langsam abnutzt, fällt in der YouTube-Ökonomie nicht so schnell auf, denn bei den Milliarden YT-Nutzern wird es immer eine/einen geben, der als neuer Zuschauer zu MrBeast kommt. Dann ist alles neu und muss erst mal durchgesuchtet werden. So wird MrBeast mit seinem Video-Backcatalog bestimmt noch lange zu den Topverdienern auf YouTube gehören.
Mehr Geld = mehr Aufmerksamkeit
Leider beginnt die „mehr Geld, mehr Aufmerksamkeit“-Logik zunehmend um sich zu greifen, auch weil sie leider funktioniert. Der amerikanische Slots Streamer Roshtein setzt regelmäßig mehrere hundert Dollar pro „Dreh“ in seinen Glücksspiel-Streams, manchmal tausende. Die damit einhergehende Aufmerksamkeit hat ihn reich gemacht. Henne/ Ei-Sache dahinter: klar kann er nur so hohe Einsätze spielen, weil er reich ist, die Spirale sukzessive hochgedreht hat.
In Deutschland investiert Trymacs nach eigenen Aussagen viele hunderttausend Euro jeden Monat in seine Videos. Zum Jahresende 2021 konnte man sehen, dass er das nicht so sehr über „production value“ sondern ganz direkt tut, indem er z.B. Sammelkarten wie die „FIFA Packs“ in solchen Massen kauft, wie man es sich nur leisten kann, wenn man die Kohle dafür hat. Und wenn es sich lohnt, den Nonsense via Aufmerksam und Publikumserfolg on-stream zu refinanzieren.
Klar wollte schon jeder mal für großes Geld Panini Bilder kaufen und dem Glück so ein Schnippchen schlagen. Knossi hat es in großem Stil gemacht, nun ja, fast, denn ihm wurden die Bilder von Panini als Promo geschenkt. Die Roshtein Logik versucht aktuell Ron Bielecki nach Germany zu holen, indem er auch Slots mit hohen Einsätzen spielt. Und mal wieder klappt das sogar, etwas, sind kleinere Einsätze. trotzdem fragt man sich, wo das hinführen soll.
Spiegel der Gesellschaft
Die MrBeast Videos sind insofern ein Indikator für den Zustand – nicht nur von YouTube – sondern auch der gesamten Gesellschaft. Sie entlarven die Mechanismen, denen ein durchschnittliches Leben unterworfen ist. Kann sein, dass das immer so ist, mit den Medien oder sogar der Kunst. „Art imitates life and, sometimes, life imitates art. It’s a weird combination of elements.” hat der Philosoph Bruce Willis gesagt. Also musst du streben und kämpfen, Ausgang ungewiss. Man kommt sich vor, als sei das alles ein großes Spiel, mal mehr mal weniger ein Glücksspiel. Du kannst dir aussuchen, ob du fair oder unfair spielst, doofer NPC bist oder der Held in diesem GTA RP. Hape Kerkeling hat gesungen „das ganze Leben ist ein Quiz“! Gut, erste Frage: wie viel kann man gewinnen? Es geht um Geld im Leben! Oder etwa nicht? MrBeast sagt, es geht um Geld. Aber wenn man das x-te Zaster-Video gesehen hat, dann fällt einem vielleicht auf, dass das allein nicht reicht und bisweilen langweilig.