MrBeast verkauft seine alten Videos. Warum?
Aus den USA schwappen immer wieder Meldungen über die Aktivitäten der Firmen Spotter und Jellysmack in deutsche Influencer-Kreise. Es wird davon erzählt, dass offenbar beide Unternehmen tiefe Taschen haben und mit viel Geld den Video-Katalog großer YouTuber kaufen. Prominentestes Beispiel und immer wieder genannt – auch in den Pressemeldungen der Firmen selbst – sind dabei Deals mit dem YouTuber MrBeast – der seine Videos bisher schon (mehrfach) an beide Unternehmen verkauft hat. Wie geht das? Was soll das? Wo liegt der Sinn? Wir schauen uns das mal an.
Das grundlegende Kalkül hinter dem Verkauf von Videos
Mit dem Monetarisieren von Videos auf YouTube verhält es sich so: ein YouTuber, Twitcher – eben ein Video Creator egal auf welcher Plattform – produziert Inhalte. In diesen Inhalten steckt Arbeit und Zeit. Es fand eine Wertschöpfung statt und der geschöpfte Wert ist ein Videoprodukt. Dieses Produkt wird dann z.B. auf YouTube hochgeladen und dort über Werbung „monetarisiert“, also zu Geld gemacht. Der oder die Video Creator erhält also Einnahmen für seine Arbeit der Videoproduktion. Das ist natürlich der Idealfall, denn es setzt voraus, dass der Produzent des Inhalts auch ein Publikum hat – denn Werbung funktioniert nur, wenn es Menschen gibt, die die Werbung auch sehen. Klar. Und daher ist eben auch das Aufbauen eines Publikums Teil der Arbeit des Video Creators.
Jetzt ist die Sache natürlich so, dass die gesamten Einnahmen eines Videos nicht im Moment des Uploads auf eine Plattform generiert werden. Vielmehr ist es so, dass sich die views mit der Zeit ansammeln. Das Auswerten eines Videos ist also aus Sicht des YouTubers eine Investition in die Zukunft und der Erlös wird sich erst über einige Zeit einstellen. Der Wert des Videos an sich ist aber schon da. Der finanzielle Gegenwert ist es aber noch nicht. Da entsteht eine Lücke – und findige Investoren haben diese Lücke erkannt und beginnen sie zu nutzen.
Schnelles Geld vs. Geduld
In vielen Bereichen der Finanzwirtschaft ist der Mechanismus schnell vs. langsam zu entdecken. Es ist immer so, dass „schnell“ etwas kostet, einen Aufschlag bedeutet oder das Hinnehmen einer Einbuße. Während „langsam“ eben auch seinen Wert bzw. seinen Nachteil hat – je nachdem. Zeit ist Geld.
Dem gegenüber steht, dass die Akteure in der Finanzwirtschaft sich in zwei Lager teilen: die einen, die stets zu wenig finanzielle Mittel haben und die anderen, die so viel davon haben, dass es ihnen schwer fällt, attraktive Anlagemöglichkeiten zu finden. Bei der Sache mit den verkauften Videos treffen diese zwei Welten aufeinander und bieten sich gegenseitig einen Vorteil.
Spotter und Jellysmack
Das Start-up Spotter hat sich zum Ziel gesetzt, gute Finanzanlagen für seine Investoren zu finden, eben zu „spotten“. Das in L.A. ansässige Unternehmen wurde in 2019 unter Führung der japanischen SoftBank Gruppe gegründet und hat in weiteren Venturekapitalrunden bisher ungefähr eine viertel Milliarde US-Dollar an Mitteln eingesammelt.
Der andere große Name in dem Spiel, Jellysmack, wird ebenfalls von Softbank Geld finanziert. Die ursprüngliche Geschäftsidee hinter Jellysmack scheint mal eine andere gewesen zu sein, mehr die Analyse und Optimierung von Videos mit Technologie, künstlicher Intelligenz, etc. Heute ist es einfach „der zweite Name“ in diesem Feld und jeder weitere „me too“.Mitbewerber würde schon nur noch der Dritte im Ring sein. Eine kluge Strategie.
Beide Unternehmen verbindet die Aktivität, große YouTuber zu finden, deren Videokataloge etwas wert sind und diesen YouTubern dann für die Übernahme dieser Videos etwas zu zahlen. Natürlich sind genaue Details der Deals nicht bekannt, aber was man weiß ist, dass die Investoren nur die Rechte an der Auswertung für eine gewisse Zeit übernehmen und der YouTuber im Gegenzug den möglichen Ertrag aus den Videos in diesem Zeitraum auf einmal sofort ausgezahlt bekommt. Grob gesagt.
Natürlich ist in dieser Rechnung wieder das gesamte Repertoire des Finanzwesens möglich, es ist Arbitrage am Werk, Spekulation von der einen oder anderen Seite, ein Zeitwert muss ermittelt werden usw. Welcher YouTuber und welche Videos sind also die richtigen, denn es gibt Videos, die sich als Dauerbrenner erweisen und Videos, die einen ganz kurzen Auswertungszeitraum haben, dann rapide an Zuschauern verlieren und schließlich nur noch dahindümpeln. Wie lang ist das Fenster für die Auswertung? Es ist auch eine Art „long-tail“-Geschäft. Hier geschickt auszuwählen ist die Arbeit dieser Start-ups.
Was hat MrBeast vom Verkauf seiner Videos?
Ein YouTuber, den die Schlauberger bei Spotter und Jellysmack in ihr Herz geschlossen haben, ist einer der weltweit erfolgreichsten Video Creator: MrBeast. Seine Videos, die meist zu gleichen Teilen PR-Stunt, Quatsch, Provokation und Wohltätigkeit sind, scheinen also von der Sorte zu sein, bei der man weiß, dass sie noch über einen längeren Zeitraum hinweg Geld einspielen werden. Das ist der Grund für das Angebot an den YouTuber. Aber warum nimmt er an?
Eigentlich sollte man denken, dass MrBeast kein Geldproblem hat. Was man schon eher unterstellen könnte, wäre ein Geduldsproblem. Aber der vermutliche Grund für die Attraktivität der Übernahmeangebote scheint zu sein, dass top YouTuber wie MrBeast nicht nur hohe Einnahmen, sondern auch hohe Ausgaben haben und daher in einer Art Teufelskreis gefangen sind, in dem im Grunde nie wirklich viel Geld in der Kasse ist. Knossi ist z.B. ein deutscher Streamer, der nicht müde wird, immer wieder zu betonen, dass seinen Einnahmen auch hohe Ausgaben gegenüber stehen. Einen Ausweg aus genau diesem Dilemma bieten dann die Finanziers. Zudem verstehen sie sich als „Accelerator“, als Beschleuniger. Sie bieten ungeduldigen Creatorn die Möglichkeit, größere Projekte in Angriff zu nehmen und für eine Zeit die „Last“ der Verwaltung der bereits produzierten Videos abgenommen zu bekommen. Einige YouTuber haben die Finanzspritze gar genutzt, um mal etwas ganz Neues zu versuchen, haben ein Restaurant eröffnet oder Projekte abseits der Video-Welt in Angriff genommen. Die Investoren versprechen weiter, in der Zeit der Verwaltung neue Auswertungsmöglichkeiten für die Videos zu erschließen und die Prominenz der YouTuber auf diese Weise zu vergrößern. Eine Win-Win Situation, offenbar. Ein bisschen etwas von „schnelles Geld im Pfandleihhaus“ oder „Immobilien-Teilverkauf obwohl man noch drin wohnt“ hat das Ganze aber schon.
Die Branche wird erwachsen
MrBeast verkauft also seine Videos, oder verleiht sie auf Zeit. Spotter gibt an, dass bereits über 200 Millionen Dollar in die YouTuber-Szene gepumpt und 115 Kanäle bedacht wurden. Darunter sind in Europa oder Deutschland eher unbekannte Namen wie Aphmau, Daym Drops, Deestroying, Donut Media, Dude Perfect, Nikita, preston, Vlad oder Gloom.
Insgesamt zeigt diese Verbindung von Finanzwelt und YouTubern eine Entwicklung hin zu einer Rationalisierung des „YouTube Dings“. Streamer und Video Creator erkennen ihren Wert und den ihrer Videos und diese Werte werden von ernsthaften Investoren bestätigt. Ein etabliertes Geschäftsmodell, das auch die strukturierte Auswertung von seinen feineren Verästelungen zulässt. Vergleichbares kennt man etwa aus der Filmindustrie. Der Verkauf von Filmbibliotheken bzw. Rechtekatalogen ist gut bekannt. Die alten Werke von MGM mögen nicht alle Klassiker sein, aber in dem Lizenz-Konvolut des untergegangenen Studios gibt es große Perlen, die sich immer wieder als bleibender Wert gezeigt haben und zuletzt von Amazon zur Auswertung im Streaming TV aufgekauft wurden. Bei Bildrechten kennt man das auch. Oder in der Musikbranche ist der Wert eines Backkatalogs ebenso ein eigenes Gut und schon mehrfach haben Major-Labels viel Geld für die Übernahme großer Rechtesammlungen gezahlt. Auch kleinere Rechtesammlungen einzelner Künstler wurden zuletzt gehandelt, darunter Bob Dylan oder David Bowie. Es könnte sein, dass Michael Jackson diesen Trend als ein erster erkannt hat, als er im letzten Jahrhundert die Rechte an den Beatles Songs erwarb.
Neben dem Handeln mit Rechten kommt nun auch das Element von Auswertungsketten hinzu. Beim Film ist es quasi ein Gesetz, dass zuerst eine Kino-, dann eine Home Media, am Ende eine Fernsehauswertung durchexerziert wird, um maximale Erlöse zu generieren. Auch die Streaming Revolution oder Universal bzw. Simultaneous Releases haben daran (bisher) nur wenig geändert.
Für den Bereich Online Video und Live Streaming (mit seinen VoDs und Clip-Compilations) zeichnet sich nun demnach nun ähnliches ab.
Von den Großen und MrBeast zu Mr. Bean
Der Video Backkatalog großer Streamer etabliert sich als eigener Wert. Hungriger Hugo nannte den Vorteil Großer Streamer in der Diskussion um die Monetarisierung im „Reaction Video„-Game mal „deren Rente“. Es scheine das Privileg von großen YouTubern und Streamern zu sein, dass sie sich durch ihre frühere Arbeit und den alten Output von Videos eine Situation erarbeitet haben, die sie im Jetzt dazu in die Lage versetzt, einfach Geld zu verdienen – wie etwa mit Reaction Videos oder eben dem Verkauf des Katalogs.
Lies man sich aber die Vorgaben auf z.B. der Seite von Spotter durch, so reift die Erkenntnis, dass diese Art Premium-Auswertung noch länger nur den wirklich großen Video Creatorn vorbehalten bleiben wird. Und zudem auch nur der Sorte Inhalten, die lange ausgewertet werden können, z.B. keinen aktuellen Bezug haben und möglichst universell Menschen ansprechen. In einer Sprache, die jeder versteht, von 8-88. Was fällt einem da ein? Richtig: Mr. Bean. Zeitlos und auch ohne Tonspur verständlich. Keine Übersetzungskosten. Und eben Comedy. Die versteht auch jeder. Ob MrBeast diese Kriterien erfüllt – naja – vielleicht besonders in den USA, und noch für die nächsten 5 Jahre oder so. Zumindest wachsen immer Kids nach, die über grotesken Quatsch lachen können. Ob das aber für einen Klassiker reicht..? Eher nicht. Die Rechnung für die Investoren dürfte aber trotzdem aufgehen. Interessant wird sein, zu beobachten, wann der erste deutsche YouTuber seine Videos für schnelles Geld abgibt.