„Wir reagieren auf…“ Reaction Videos
Reaction videos sind keine so ganz neue Sache. Schon vor gefühlt ’nem Jahrzehnt gab es immer neben den Videos der Fail Army und Konsorten diese andere Kategorie lustiger Videos: die Reactions. Denn wenn man etwas Lustiges sieht, das zudem überraschend passiert, dann ist manchmal die Reaktion der Überraschten Zuschauer ähnlich lustig, wie das Gesehene selbst.
Für YouTube Videos hat diese Prinzip irgendein Schlaukopf entdeckt – im szenisch/filmischen Erzählen ist das einer von vielen Standards. Als Teil der basalen „Grammatik“ des Filmschnitts ist der Schuss/Gegenschuss ein Prinzip, mit dem ein Darsteller mit einem anderen Darsteller o.ä. in Beziehung gesetzt wird. Etwas weiter gefasst dient der „reaction shot“ dazu, die emotionale Reaktion einer Figur auf etwas zu vermitteln. Im Film können das viele und auch subtile Dinge sein und kann zudem etwas über die reagierende Figur aussagen. Bei lustigen YouTube Videos ist die Reaktion üblicher Weise Überraschung und erlösendes Lachen. Oder Staunen, wenn es um etwas beeindruckendes geht. Und da wir Menschen so etwas wie Spiegelneuronen besitzen, steckt das in der Regel an, das Staunen, mehr aber das Lachen. Auch wenn es manchmal gar nicht sooo komisch ist.
Was hat sich bei Reaction Videos geändert?
Die Sache mit den Reactions hat sich natürlich gewandelt. Unzählige Ideen und Varianten tragen im Netz eben immer zu einer Evolution der Dinge bei. Die ursprünglichen Reaction Videos waren meist so gestrickt, dass das Originalvideo in klein zu sehen war – als Einblendung oder sogar, old-skool, in der Form, dass man Leute vor einem Bildschirm sitzen sah. Die reagierende Person sah man groß – denn wie im Film ging es ja um die emotionale Reaktion auf das Gesehene. Oft war es auch so, dass ein YouTuber, der ein lustiges Video zu Stande gebracht hatte, erst das Video ins Netz stellte und dann Videos davon machte, wie Menschen auf sein Video reagierten. Das wurde dann ebenfalls hochgeladen, und oft sah man sich als Zuschauer erst das Originalvideo an, dann die verlinkten/vorgeschlagenen Reactions. Perfekt für den Effekt war es dann, wenn die Normalos in den Reaction Videos auch noch überraschend wild reagierten, vom Stuhl fielen oder was auch immer. YouTube Gold eben.
Warum reagieren Streamer
Irgendwelche YouTuber haben dann damit angefangen, sich selbst bei Reactions aufzunehmen. Das müsste wirklich mal jemand nachverfolgen, wo das her kam. Vielleicht aus der Erkenntnis heraus, dass man so ja auch noch bei den eigenen „Hausaufgaben“ – YouTube Recherche – Content produzieren könnte. Oder aus Fragen von Fans, was denn der eine oder die andere YouTuberIn zu diesem oder jenem Thema/ Video/ Meme meinte. Es geht eben darum, die emotionale Reaktion mitzuerleben. Und so, wie man etwas eventuell Freunden oder der Familie erzählt oder dort herum zeigt, so möchte man eben auch von den „eingebildeten Freunden“ oder respektierten Personen erfahren, wie sie zu Dingen stehen oder darauf reagieren.
Halbwegs sicher nach gefühlter Faktenlage ist, dass YouTuber aus den USA oder zumindest dem englischsprachigen Ausland die Sache mit den Reaction Videos zuerst gemacht haben. Und da hiesige YouTuber ja manchmal auch des Englischen mächtig sind, lässt eine eingedeutschte Version einer erfolgreichen Idee natürlich nicht lange auf sich warten.
Und so haben sich dann natürlich auch deutsche YouTuber hingesetzt und sich populären Content on-camera angesehen und Videos von ihren Reaktionen ins Netz gestellt. Und als Live-Streams, z.B. auf Twitch, zunehmend auch populär für nicht-gaming Content wurden, da verlegte sich so manche „IRL“ oder „Just Chatting“ Streaming-Session auf das dokumentieren einer Reaction, auf ein YouTube- oder Mediathek-Video.
Vielleicht ein deutscher Aspekt, der hierzulande oft zu beobachten ist und der Idee hinzugefügt wurde, ist, dass dabei eben nicht nur auf lustige Memes oder Videos reagiert wird, sondern auch auf „ernsten“ Content. Dokus eben, oder kleinteilig recherchierte Videos – wie die von KuchenTV oder so. Mit dem Reaktionsvideo kann ein YouTuber/Streamer seine Sicht auf das Gesehene vermitteln. Die Community legt nämlich in der Regel großen Wert auf die Haltung oder Ansichten eines Streamers oder Youtubers. Schließich kommt daher ja der Begriff „Influencer“. Und Haltung oder das Vermitteln von Werten, das ist z.B. etwas, das Monte gern im Nebensatz tut. Interessant zu hören, was er etwa zu einer Doku über Spielsucht zu sagen hat, den Umgang mit Geld oder Respekt vor Mitmenschen. Der Influencer hat zudem auch noch Einfluss auf sein Publikum über die Auswahl dessen, was er sich ansieht. Sie oder er hat da eine kuratierende Rolle.
Das Problem mit der Kohle bei Reaction Videos
Was ein großer Streamer macht, ist immer relevant. Wenn sich ein großer YouTuber oder Twitch Streamer ein YouTube Video ansieht, dann rasen die views kurz darauf nach oben – oft schon während dessen. Wenn ein Influencer einen Twitcher empfielt, dann hagelt es danach Follower. Das ist ja auch das Prinzip des Hostens oder eines Raids auf Twitch. Ein Influencer leitet Aufmerksamkeit, auf Dinge oder Personen.
Einer, der davon zum Beispiel in 2021 profitiert hat, ist Hungriger Hugo. Was macht ein YouTube Nerd, wenn er mit der Schule fertig ist? Klar: eigene Videos, lustige Videos. Das ging für Hugo ganz gut los, aber es ist schwer, aus dem Meer an neuen Videos auf YouTube herauszustechen. In 2020 wurde nach Daten auf Statista im Februar 2020 täglich 720.000 Stunden neues Videomaterial auf Googles Plattform hochgeladen! Keine Chance also – ohne eine Empfehlung.
Und die kam dann. Nachdem Monte auf eines von Hugos Videos reagiert hatte, war der Kanal etabliert. Das pflanzte sich dann fort: auch andere Streamer, wie Knossi, schauten sich die Videos an und die Aufrufe wie Einnahmen vom Hungrigen Hugo schossen durch die Decke. Im Stream hat Hugo das einige Male angesprochen, dass er dankbar dafür ist und er dieser Sache seinen Erfolg verdankt. Aber mit dem „Zitieren“ anderer Leute Videos im eigenen Content ist es so eine Sache. Ein Highlight-Kanal, wie Hungriger Hugo lebt ja vom „Ausschnitt“ und nicht alle – wie etwa Papaplatte – sind damit einverstanden, dass ihr Content verwendet wird.
Denn es ist so: am Beispiel Hugo, da dauert das Erstellen eines Videos viele Stunden, ist Arbeit. Diese Arbeit bezahlt sich ein YouTuber, indem die Videos im Netz monetarisiert werden. Auf YouTube bedeutet das, dass Google/Alphabet die Content-Creators, an den mit den Videos erzielten Werbeeinnahmen, beteiligt. Wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Ein kleinerer Streamer, wie Hugo, erhält dann, sagen wir mal, 600 EUR für ein Video mit 200.000 Aufrufen. Nun kommt ein großer Streamer mit einer großen Reichweite und sieht sich dieses Video einfach nur an, lacht manchmal, drückt manchmal die Leertaste und erzählt ‚was. Ergebnis: keine Arbeit, 600.000 Aufrufe, 1.800 EUR verdient, vielleicht mehr.
Da gibt es ein Ungleichgewicht, und nicht alle „kleinen“ Streamer sind froh, wenn sie „gefeatured“ werden. Nicht wenige kratzen sich da am Kopf, denken über Beteiligungsmodelle nach. Könnte nicht YouTube verwendeten Content „irgendwie markierbar“ machen und so Verdienste teilen? Wohl eher nicht, denn dann würde man sich da ja in einen komplexen Prozess einmischen – und am Trend der Reactions als solchem verdient man ja schon so gut mit. Die GEMA und GVL beispielsweise, in der Plattenindustrie, versucht diese Rechteverwendung bei Musik zu steuern und zu kompensieren. Komplex ist das. Das wird Google sicher nicht versuchen und sich so zum Richter machen.
Was sagt das Urheberrecht
Apropos Richter: was sagt eigentlich das Gesetz dazu? Nun, bei den meisten Reaction Videos gilt wohl: wo kein Kläger, da kein Richter. Wenn sich niemand beschwert, muss auch niemand einschreiten. Und wenn sich mal jemand zu unrecht „geclipt“ oder verwendet fühlt, dann wird der Content im YouTube-Backend markiert und der dann zu unrecht Verwendende wird „geflagt“ bzw. bekommt einen „Strike„.
Wenn sich allerdings jemand in seinen Urheberrechten so richtig offiziell verletzt sieht, dann wird das Ganze wohl zu einer Abmahnung gebracht und/oder kommt vor Gericht. Denn ein Video eines fremden Urhebers in einem eigenen Werk mehr oder weniger 1:1 zu verwenden und dann das Resultat gegen Monetarisierung ins Netz zu stellen verstößt so ziemlich gegen jedes Gesetz.
(Wer es noch nicht gemerkt hat: dieser Artikel kann und will nicht als Rechtsberatung verstanden werden. Ein Video, das tiefergehende Antworten gibt, kommt, wie so oft in solchen Fragen, von RA Solmecke.)
In groben Zügen kann man sagen, dass das „einfach komplette Verwenden“ eines Videos von jemand anderem illegal ist. Auch als Zitat gilt das nicht. Denn dann könnte man ja z.B. einfach einen fremden Roman nehmen, eine kleine Einleitung oder so schreiben, und dann das Ding als eigenes Buch veröffentlichen. Geht so nicht. Auch gehört zum Zitat die „Auseinandersetzung“ mit dem Inhalt. Nur „Leertaste drücken“ ist da eher dünn. Zudem ist es bei den neueren Reaction-Videos denn oft auch so, dass der originale Inhalt mehr im Vordergrund steht, als die Reaktion. Bei den frühen Videos gab es die lachenden Reagierenden in der Großaufnahme, bei den heutigen Reactions wird der Streamer meist nur klein eingeblendet – so als ob das geguckte Video ein Videospiel wäre.
Übrigens waren auch die Game Developer anfangs keine großen Fans davon, dass ihre Spiele, mit allen Inhalten, in „Let’s Play„-Videos oder live auf Twitch, komplett gestreamt wurden… Da musste man erst erkennen, dass der Promo-Effekt (wohl doch?) überwiegt. Überwiegt, weil es eben zudem noch immer etwas anderes ist, ob man einem Spiel zusieht, oder es selbst spielt!
Bei Videos gibt es diese interaktive Komponente hingegen nicht. Hat man eine Doku, einen Film, ein überraschendes Video einmal gesehen, hat man’s gesehen. Puff. Der Wert ist quasi aufgebraucht. Und wenn die Kohle, die damit zu verdienen ist, dann bei einem reagierenden Influencer, statt eben beim Urheber landet – dann ist das ein Problem. … Wir bleiben also gespannt, wie das weiter geht.