Ustinovs Zeichenstunde

Sir Peter Ustinov in einer Art Ein-Mann Kabarett, Spielszenen wechseln sich mit dem Malen von Karikaturen ab. Muss man das gesehen haben?
Veröffentlich am 29. Januar 2022 und aktualisiert am 18. März 2022
Sir Peter Ustinov in seinem TV Special "Ustinovs Zeichenstunde" (1974)
Rechte: Polyphon/WDR

In der Reihe „Fernsehschätze“ sendet ONE hier also eine Peter Ustinov Ein-Mann-Show, seine Zeichenstunde. Peter wer? Ustinov? Ist das der aus diesem alten Agatha Christie Film, Tod auf dem Nil? Und diesem anderen Krimi? Ja, das ist er. Peter Ustinov, legendärer Schauspieler, Regisseur, Kosmopolit, Tausendsassa. Der Brite wuchs mehrsprachig auf und wurde durch seine Deutschkenntnisse auch über seine Filme hinaus im hiesigen Fernsehen und der deutschen Öffentlichkeit sichtbar. Der Peter Ustinov. Die Eltern kennen ihn noch. Früher kannte ihn überhaupt jeder.

Und jetzt also nun dieses Fernsehspiel. Aus den Untiefen des WDR Kellers. Damals gedreht auf Lanzarote. Es kommt einem vor, wie ein spontaner Einfall im Urlaub, dieses Projekt. Vor dem Hintergrund der Villa des Schauspielkollegen Omar Sharif improvoisiert Ustinov hier Sketche, in denen er die Eigenarten und Wesenszüge von – wie der Untertitel sagt – Touristen, Diplomaten und Generälen schauspielerisch in Selbstgesprächen karikiert. Aha, ok!? Da muss man erst einmal drauf kommen.

Ustinov fällt sowas ein. Die Welt der Diplomatie und Politik ist ihm gut vertraut, denn schon vor seiner Karriere als Schauspieler und Dramatiker arbeitete Ustinov als Korrespondent in Amsterdam und Berlin. Er ist gut herum gekommen, in Europa. Auch die Rolle des Touristen ist ihm also nicht fremd. Das alles zeigt der zweifache Oscarpreisträger in seinen „Stückchen“ ebenso gut, wie er vorführt, dass er nicht nur die oft albernen Spielchen der Mächtigen gut durchschaut, sondern auch schauspielerisch, mit wenigen Akzenten, Momente und Situationen zum Leben erwecken kann. Dass ihm das gleiche Kunststück auch mit Stift und Papier gelingt, beweisen dann die mit den Schauspielszenen abwechselnden Einlagen von Ustinov als selbstmalendem Karikaturisten. Gekonnt versteht er es, mit wenigen „Pinselstrichen“ Charakterköpfe und Kommentar gleichermaßen zu Papier zu bringen.

Ustinovs Zeichenstunde als Lehrstunde

Die Sendung dauert 45 Minuten. Und sind wir ehrlich: es sind lange, langsame, langweilige 45 Minuten… zunächst! Denn das 1974 mit Kamera, Ton und Ustinov als einzigem Darsteller minimalistisch produzierte TV-Special ist auch ein Ding seiner Zeit. Viel verstaubter als Loriot-Sketche. Die Uhren tickten anders damals, langsamer. Mit heutiger Erzählweise hat das wenig zu tun. Da braucht es etwas Ausdauer und Willen, sich der Idee des Formats zu öffnen. Tut man das aber, dann entdeckt man, dass hier viel geronnene Lebenserfahrung – menschliche und politische – zu erleben ist. Es gibt Dinge zu lernen, zu hinterfragen, Ansichten zu durchdenken. Das Reduzierte der Inszenierung lässt mehr vor dem geistigen, als dem realen Auge geschehen.

Und ganz unabsichtlich tut der Sendetermin auf ONE, an einem Tag im Januar 2022, dann noch sein Übriges hinzu: hier stehen wir, am Ausgang einer Pandemie, die neue Fronten hat entstehen lassen. Die Ausstrahlung findet statt zu einer Zeit, in der in den Nachrichten von Spannungen in der Ukraine gesprochen wird. Und da ist dann dieser Ustinov, ein Mensch, eine Haltung, ein Typ, der irgendwie total aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Und er redet von Napoleon, oder Carl von Clausewitz und russischen Botschaftern! Es scheint, er gebe aus der Vergangenheit einen Kommentar zu unserer Gegenwart. Könnte es sein, dass die Antworten zu dieser unserer Gegenwart zumindest zum Teil in der Vergangenheit zu finden sind? Es könnte Sinn machen, die Historiker zu befragen – damit nicht immer alles neu erfunden werden muss oder alte Fehler erneut begangen werden.

Dieser Fernsehfilm ist wie so ein Schul-Geschichtsbuch: man hat nicht wirklich Lust, ihn zu lesen, diesen dicken alten Schmöker. Besser gar nicht erst aufschlagen das vergilbte Teil. Aber wenn man es dann doch tut, dann eröffnet sich auf jeder Seite eine Einsicht. Daher kann es lohnen, sich zu überwinden und hier ‚rein zu schauen und nicht weiter zu zappen. Einfach mal im übertragenen Sinne „drin blättern“ und das Ganze wirken lassen. Es könnte sich lohnen.

Sehenswert für den geduldigen Zuschauer.
So obskure Fernsehware, dass die IMDb den 45-Minüter nicht mal kannte. (InStream hat das geändert, Review läuft.)

Filminfo

Originaltitel: Ustinov’s Zeichenstunde – Touristen, Diplomaten Generäle
BRD – 1974 – 45 Minuten – Polyphon/WDR

Regie, Buch und alle Rollen: Peter Ustinov
Produktionsleitung und Schnitt: Susanne Paschen
Kamera: Rainer Wanderscheck, Achim Gitt
Ton: Werner Sörgel

Sendetermin: am 29.01.2022 um 11:55h auf ONE (ARD)
Ein Skandal ist, dass der Film in keiner der ARD Mediatheken vorhanden ist. Toll liebe ÖR, so vergräbt man Fernsehschätze… Dabei hatte man doch versprochen, die eigenen ARD Mediatheken zu stärken. Glücklich ist da, wer einen Mitschnitt mit dem OnlineTVRecorder, ähnlichen Diensten oder dem eigenen Receiver/PVR angefertigt hat.

Update:
Irgendein random Mensch hat das Werk in voller Länge, gegen alle Gesetze, auf YouTube hochgeladen. Zeit für eine takedown notice liebe Öffis. Bis dahin verdient YouTube mit diesem Video Geld: